Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
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Gedenkfeier: „Unnatürliche Todesfälle“

Aus Anlass des 75. Jahrestages der Mordaktion an homosexuellen Häftlingen des Konzentrations-lagers Sachsenhausen wurde am 23. April 2017 eine Gedenkstunde abgehalten. Die Feier fand im Rahmen des 72. Jahrestages der Befreiung in der Gedenkstätte Sachsenhausen statt.

Im Juni 1942 wurden fast alle damaligen „Rosa-Winkel-Häftlinge“ aus dem Hauptlager ins nahe gelegene Außenlager Klinkerwerk verlegt. Damit begann eine Mordaktion an Homosexuellen, die mehrere Monate andauerte. Bis zum September 1942 wurden etwa 200 Häftlinge von der SS getötet: durch sadistische Misshandlungen und absichtlich herbeigeführte Unfälle oder durch Erschießung „auf der Flucht“.

Die Gedenkfeier wurde vom Lesben- und Schwulen-verband Berlin-Brandenburg (LSVD) e.V. in Kooperation mit dem Historiker Alexander Zinn ausgerichtet. Zinn hielt eine Rede, in der er die historischen Ereignisse schilderte und den Häftling Wilhelm Machold würdigte, der der Mordaktion zum Opfer fiel.



„Pfahlhängen“. Zeichnung des
Sachsenhausen-Überlebenden Walter Timm, 1945

Bildquelle: Müller/Sternweiler,
Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, S. 229

 

Dokumentation der Rede von Alexander Zinn


„Es bestand eine strenge Order, diese Häftlinge zu liquidieren“

Rede zum 75. Jahrestag der Mordaktion an homosexuellen Häftlingen

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

wir begehen heute den 72. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Dieses Jahr gibt es jedoch noch einen weiteren Jahrestag, der für die homosexuellen Häftlinge von Sachsenhausen nicht minder wichtig ist: Denn vor 75 Jahren, im Sommer 1942, kam es zu einer Mordaktion der SS im Außenlager Klinkerwerk, der etwa 200 Rosa-Winkel-Häftlinge zum Opfer fielen. Und auch in den Konzentrationslagern Buchenwald und Ravensbrück kamen in jenem Sommer auffällig viele Homosexuelle ums Leben. Wie kam es zu dieser Vernichtungsaktion?

Die Nationalsozialisten sahen in der männlichen Homosexualität eine „Staatsgefahr mindestens vom gleichen Umfange wie der Kommunismus“, wie der Gestapo-Mitarbeiter Gerhart Kanthack 1935 erklärte. Zum einen sahen sie das für ihre Kriegs- und Siedlungspläne angestrebte Bevölkerungswachstum bedroht. Der Hauptgrund der Homosexuellenverfolgung war aber ein anderer. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler fürchtete eine Unterwanderung des nationalsozialistischen „Männerstaates“ durch Homosexuelle. Er glaubte, homosexuelle Männer bildeten Seilschaften, einer befördere den anderen auf einflussreiche Positionen in Partei und Staat. In den Augen Himmlers waren homosexuelle Männer eine verschworene Gemeinschaft, die das Leistungsprinzip durch „ein erotisches Prinzip“ ersetzt und so den Staat zerstört. In einer Geheimrede vor SS-Führern erklärte Himmler das so: „In dem Augenblick aber, wo […] ein geschlechtliches Prinzip im Männerstaat von Mann zu Mann einkehrt, beginnt die Zerstörung des Staates.“ Ein Bedrohungsszenario, das erklärt, warum die massive Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten nur auf homosexuelle Männer, nicht aber auf lesbische Frauen zielte. Eine Erkenntnis, die in der aktuellen Debatte um eine angebliche Lesbenverfolgung leider häufig ausgeblendet wird.

Die massive Homosexuellenverfolgung, mit der die Nazis im Herbst 1934 beginnen, zielt in erster Linie auf homosexuelle Männer in führenden Positionen von Partei und Staat. In der Praxis werden jedoch Männer aus allen Schichten getroffen. So auch der Kaufmann Wilhelm Machold. Der 1896 geborene Machold lebt seit 1919 in Berlin. Im Laufe der 20er Jahre wird aus ihm ein selbstbewusster homosexueller Mann, der Mitglied der Homosexuellenorganisation „Bund für Menschenrecht“ ist und nicht nur dessen Verbandsorgan, die Blätter für Menschenrecht liest, sondern sich auch andere Homosexuellen-Zeitschriften wie die Freundschaft und das Freundschaftsblatt.

Auch die zahlreichen Berliner Schwulenkneipen besucht Machold ab und an, darunter das legendäre Eldorado. Sexuelle Abenteuer sucht er aber eher auf der Straße. So ist es auch am 18. Februar 1937, als Machold am Halleschen Tor einen attraktiven Mann anspricht und ihm ein eindeutiges Angebot macht. Doch dieses Mal hat Machold Pech: Denn bei dem Mann handelt es sich um einen Kriminalbeamten. Der Polizist fordert Machold auf, ihn auf die nächste Wache zu begleiten. Machold geht zunächst mit, doch auf dem Weg wird ihm wohl klar, welche Folgen eine Verhaftung haben könnte. Kurz vor der Wache reißt er sich jedenfalls los und rennt weg. Doch der Fluchtversuch misslingt: Der Kriminalbeamte zieht seine Dienstwaffe und schießt Machold ins Bein. Stark blutend wird er ins Urban-Krankenhaus eingeliefert.

Die Gestapo übernimmt die Ermittlungen, durchsucht Macholds Wohnung und vernimmt seine Freunde. Machold selbst jedoch schweigt. Im Gestapo-Verhör gibt er zwar seine Homosexualität zu. Über homosexuelle Handlungen will er aber nicht reden. Der verzweifelte Gestapo-Beamte notiert: „Auf die wiederholten eindringlichen Fragen, mit wem er in den letzten Jahren verkehrt hat, schweigt Machold hartnäckig. Er ist durch keinerlei Zurede zu bewegen, die Wahrheit zu sagen, bleibt vielmehr bei einem ganz hartnäckigen Leugnen und gibt meistens auf die ihm gestellten Fragen überhaupt keine Antwort.“ Macholds Verweigerung ist klug, aber sehr ungewöhnlich. Den Verhörmethoden der Gestapo, die zwischen freundschaftlichem Zureden und brutalen Misshandlungen schwanken, halten nur wenige Homosexuelle stand. Die meisten gestehen bald ihre Sexualkontakte und benennen ihre Partner. Einige legen ganze Lebensbeichten ab.

Tatsächlich schützt Machold mit seinem Schweigen seine Sexualpartner. Ihm selbst bringt die Aussageverweigerung aber keinen Vorteil. Am 18. Juni 1937 wird Anklage erhoben, gegen ihn und einen seiner Partner. Der Gestapo ist es schließlich doch gelungen, drei noch nicht verjährte Abenteuer Macholds aus den Jahren 1935 bis 1937 aufzuspüren. Am 5. August wird Machold vom Landgericht Berlin zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, sein Partner bekommt 6 Monate auf Bewährung.

Das Gericht begründet die außergewöhnlich harte Strafe damit, „dass es sich bei ihm um einen typischen Homosexuellen handelt, der trotz genauer Kenntnis des gesetzlichen Verbotes seit Jahren nur gleichgeschlechtlich verkehrt, sowie, dass er sich der Feststellung seiner Personalien seitens der Polizei durch die Flucht zu entziehen versucht hat und erst nach Gebrauch der Schusswaffe wieder festgenommen werden konnte.“

Die Nationalsozialisten hielten die Homosexualität für eine ansteckende „Seuche“. Folgerichtig unterteilten sie homosexuelle Männer in zwei Gruppen, die „Verführten“ und die „Verführer“. Josef Meisinger, Leiter der Reichzentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung, erklärte 1937, „dass es sich nur bei einem verschwindend kleinen Teil der Homosexuellen um wirklich homosexuelle Veranlagung handelt“, die meisten hätten sich „zu irgendeinem Zeitpunkt sehr normal betätigt und dann lediglich aus Übersättigung“ zur Homosexualität verführen lassen. Die SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps schätzte die Zahl der „Verführer“ auf nur zwei Prozent aller Homosexuellen: „Ihre Gefährlichkeit übersteigt jede Vorstellungskraft. Vierzigtausend Anormale, die man sehr wohl aus der Volksgemeinschaft ausscheiden könnte, sind, wenn man es ihnen zulässt, imstande, zwei Millionen zu vergiften.“ Während man glaubte, die „Verführten“ über die normale Strafverfolgung nach Paragraf 175 RStGB auf den „rechten Weg“ bringen zu können, wurden die „Verführer“ besonders hart bestraft und nach Verbüßung der Haftstrafe häufig in ein Konzentrationslager einwiesen.

Wilhelm Machold hat zunächst noch Glück: Nachdem er seine Gefängnisstrafe im Mai 1939 verbüßt hat, wird er wieder entlassen. Er kehrt zurück zu seinen Wirtsleuten in der Belle-Alliance-Straße, wo er offenbar noch bis 1942 wohnt. Familie Friede weiß von Macholds Homosexualität. Die jüdische Familie ist selbst von den Nazis bedroht und hat offenbar Verständnis für ihn. Umso größer ist das Entsetzen, als die Polizei erneut vor der Tür steht. Der Sohn der Familie, Eugen Hermann-Friede – er überlebt die letzten Jahre der NS-Herrschaft im Untergrund –, schildert dieses Ereignis später in seinen Memoiren:

„Einmal wohnte ein Schwuler bei uns, er hieß Macholt. Meine Mutter war kreidebleich, als es eines Tages bimmelte und zwei Kriminalbeamte vor der Tür standen. Sie schoben sie zur Seite. ‚Na, wo ist denn die Tunte?‘ Sie rissen die Tür zu Macholts Zimmer auf. ‚Süßer, wo steckst du denn? Los rauskommen.‘ Aber Macholt war ausgeflogen. Die Polypen waren Neese. Sie durchwühlten das Zimmer von oben bis unten, warfen alles durcheinander, brachten haufenweise Lippenstifte, Puder und Damenhöschen zutage. Als sie noch mitten beim Umstülpen waren, kam Macholt nach Hause. […] Er kam nach Oranienburg, ins KZ. Wir haben nie wieder von ihm gehört.“

Die Hintergründe von Macholds erneuter Verhaftung sind unbekannt. Nicht auszuschließen ist, dass er dieses Mal ohne Strafverfahren direkt ins KZ Sachsenhausen verschleppt wird.

Da die Strafverfolgung Homosexueller nicht die gewünschten Erfolge hatte – viele der Verurteilten wurden nach ihrer Entlassung wieder „rückfällig“ – verschärften die Nationalsozialisten die Verfolgungsmaßnahmen im Laufe der Jahre immer mehr. So gab Himmler im Juli 1940 die Anweisung, dass „in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen“ sind. Betroffen davon war fortan ein großer Teil, vermutlich bis zur Hälfte der nach § 175 verurteilten Männer.
Die in die Konzentrationslager deportierten Homosexuellen wurden in die Strafbataillone eingewiesen. In Sachsenhausen kamen sie in die Isolierung und später ins Todeslager Klinkerwerk, in Buchenwald und vielen anderen Lagern wurden sie in den Steinbrüchen geschunden. So wird es auch Wilhelm Machold ergangen sein. Der genaue Zeitpunkt seiner Einweisung ins KZ Sachsenhausen ist nicht mehr zu klären. Seine Häftlingsnummer 43.255 deutet darauf hin, dass er im Juni 1942 in Sachsenhausen eingeliefert wurde. Wahrscheinlich kam auch er in die Isolierung des Stammlagers.

Bei der „Isolierung“ handelte es sich um vier bis sechs Häftlingsbaracken, die vom restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt waren, also um ein KZ im KZ. Vermutlich ab Dezember 1939 wurden Homosexuelle systematisch in die Isolierung eingewiesen, um die Verbreitung der „Seuche“ Homosexualität im restlichen Lager zu bekämpfen, wie der KZ-Kommandant Rudolf Höß später erklärte.

Der SS-Terror war hier besonders grausam. Die Blockführer der SS, oft aber auch die Blockältesten, bei denen es sich um Häftlinge handelte, erprobten immer neue Quälereien und Folterpraktiken. Die Überlebenschancen waren gering. Als ein Häftling im Mai 1941 im Stehkommando hinter Block 35 vor Erschöpfung zusammenbrach, wurde er auf Anweisung des SS-Mannes Otto Kaiser in den Duschraum getragen und mit kaltem Wasser traktiert. „Da soll sich das schwule Schwein wieder erholen“, kommentiert Kaiser den Vorgang. Nach dem Mittagessen lag der Häftling immer noch unter der kalten Dusche, er war inzwischen tot. „Abspritzen“ mit kaltem Wasser war eine beliebte Mordmethode. Stundenlang wurde mit einem Wasserstahl auf die Herz- und Nierengegend gezielt. Auf dem Totenschein stand dann „Herzkollaps“ oder „Herz- und Kreislaufversagen“.

Neben diesem alltäglichen Terror gab es Zeiten, zu denen „die SS den Homosexuellen besondere Aufmerksamkeit schenkte und deren Vernichtung systematisch organisierte“, wie der ehemalige Häftling Conrad Finkelmeier berichtete. Dies gilt vor allem für das Jahr 1942, für das sich in verschiedenen Konzentrationslagern eine Häufung der Morde an homosexuellen Männern feststellen lässt. Am exzessivsten war die Mordaktion in Sachsenhausen. Ihr fielen fast alle dort inhaftierten Homosexuellen zum Opfer. So berichtete der ehemalige Häftling und Lagerälteste Harry Naujoks 1945:

„Im Sommer 1942 wurde eine Vernichtungsaktion gegen die 175er […] durchgeführt. […]. So wurden etwa 200 Mann in kürzester Zeit ermordet. […] Im Juni ist eines Abends beim Appell die Aufforderung ergangen, daß sich alle diejenigen, die wegen § 175 und Amtsanmaßung ins Lager gekommen sind, auf der Lagerschreibstube zu melden hätten und sobald man ihre Namen hat, werden sie zum Klinker geschickt, wo selbst in den ersten 18 Tagen schon 53 fertig gemacht werden.“

Der ehemalige Häftling Ludwig P. berichtete über die Mordaktion Folgendes:

„Im Jahre 1942 wurden nach dem Kommando Klinkerwerk die mit rosafarbenen Winkeln etikettierten Häftlinge überstellt. Das waren Häftlinge mit homosexueller Veranlagung. Durchweg waren es Menschen aus guten gesellschaftlichen Schichten und sie waren auch sonst sehr umgängliche Menschen. Aber es bestand eine strenge Order, diese Häftlinge zu liquidieren.“

Der ehemalige Häftling Rudi Wunderlich, der im August 1942 im Häftlingskrankenbau war, berichtete später über die angewendete Mordmethode:

„In der Zeit, wo ich im Krankenbau war, hat Dr. Schmitz mit Dr. Frowein auch die Totenscheine für die bei der ‚175er-Aktion‘ ermordeten Gefangenen ausgestellt. Diese Aktion lief von Anfang Juli 1942 bis etwa 26. September 1942. Alle Toten waren erschossen oder zumindest an Schusswunden gestorben. […] Auf dem Klinkerwerk wurde mit Loren Sand transportiert. An jeder Lore drei Gefangene. Der erste Lorenzug lag an einer hohen Böschung. […] Der Häftling, der an einem bestimmten Tag sterben sollte, musste an dieser Lorenseite schieben. Kam die Todesstunde, bekam der SS-Mann ein Zeichen. Wenn die Lore an dem Blockführer vorbei fuhr, bekam der auf der inneren Seite des Lorenwagens schiebende Gefangene einen kräftigen Tritt in den Leib. Durch den Schwung fiel er gegen die anderen. Der an der Postenkette schiebende Gefangene flog von der Lore weg, rutschte die Böschung hinab. Das war ein ‚Fluchtversuch‘. – Denn der Posten wartete nur und knallte seelenruhig ab. […] So starben in etwa 10–12 Wochen fast täglich 1-3 Gefangene dieser Kategorie. Es hat aber auch Tage gegeben, wo es mehr waren, einmal sogar 5 und auch 6. Einer war es fast jeden Tag. Die Totenscheine unterschrieben mit ‚harmlosen‘ Todesursachen.“

Doch nicht nur in Sachsenhausen kam es zu einer Mordaktion. Auch im Konzentrationslager Buchenwald gab es eine auffällige Häufung der Todesfälle unter den Rosa-Winkel-Häftlingen. Der ehemalige Häftling Ferdinand Römhild schrieb in dem 1945 erstellten „Buchenwald-Report“ zur Situation der Homosexuellen im Steinbruch, „die Zahl der auf der Flucht Erschossenen‘“ sei „während des Sommers 1942 erschreckend“ gewesen. Bislang sind uns aus Buchenwald 45 Homosexuelle namentlich bekannt, die dort zwischen dem 25. Juni und 4. September ums Leben kamen. Das war fast die Hälfte der damaligen Rosa-Winkel-Häftlinge. Viele von ihnen wurden im Häftlingskrankenbau ermordet, wo ihnen die SS-Ärzte Hoven und Plaza eine tödliche Spritze verabreichten.
Und auch in Ravensbrück, wo im März ein Transport mit 33 Homosexuellen aus Buchenwald eintraf, kamen im Frühjahr und Sommer 1942 auffällig viele schwule Männer ums Leben, wobei es hier eine Häufung der Todesfälle im Juni gab. 32 von 78 Homosexuellen waren Ende 1942 in Ravensbrück schließlich umgekommen oder ermordet worden.

Handelte es sich bei der beschriebenen Mordwelle um eine reichsweit koordinierte und von der SS-Führung angeordnete „Vernichtung“ homosexueller KZ-Häftlinge? Die Vermutung von Harry Naujoks, dass die Mordwelle „bestimmt auf Anregung von oben“ zustande gekommen sei, liegt jedenfalls nahe. Außer der zeitlichen Korrelation der Morde von Sachsenhausen, Buchenwald und Ravensbrück gibt es darauf aber keinen weiteren Hinweis. Auffällig ist allerdings die zeitliche Nähe zu einem Himmler-Befehl vom 7. März 1942, demzufolge „alle Angehörigen der SS und Polizei Vorkämpfer im Kampfe um die Ausrottung der Homosexualität im deutschen Volke sein müssen“. Dieser Befehl, der die Einführung der Todesstrafe für Homosexualität unter SS-Angehörigen vorsah, wurde im März 1942 „allen Angehörigen der SS und Polizei mündlich“ bekanntgegeben. Auch wenn es also keinen ausdrücklichen Befehl zur Liquidierung homosexueller Häftlinge gegeben haben sollte – der zitierte Himmler-Befehl vom März 1942 wird in jedem Fall dazu beigetragen haben, den Hass des SS-Wachpersonals auf die Rosa-Winkel-Häftlinge weiter zu schüren. Und so ist es auch denkbar, dass allein dieser Befehl für die auffällige Zunahme der Todesfälle homosexueller Männer in Sachsenhausen, Buchenwald und Ravensbrück verantwortlich war.

Aus Sachsenhausen sind uns heute etwa 100 der Mordopfer namentlich bekannt. Unter ihnen war auch Wilhelm Machold. Wie die anderen Rosa-Winkel-Häftlinge wurde er im Juni ins Außenlager Klinkerwerk verlegt. Machold gehörte zu den ersten Opfern der Mordaktion. Er starb am 10. Juli, nur wenige Wochen nach seiner Einlieferung ins KZ, im Alter von 46 Jahren.

© Alexander Zinn 2017