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Razzien, Hausdurchsuchungen
und verschärfte
Vernehmungen
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Mit der Ermordung
Röhms ist die Bahn frei für die von Himmler angestrebte
Verfolgungspolitik.
Im Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin wird bereits im
Juli 1934 ein Sonderdezernat II 1 S eingerichtet, das sich mit der
Nachbearbeitung des Röhm-Putsches beschäftigt
und seine Aktivitäten bald auf die Bekämpfung der Homosexualität
konzentriert. Zweifellos
sieht Himmler die größte Gefahr in jenen Homosexuellen,
die in Staat und Partei in Amt und Würden stehen. Doch die
Verfolgungsmaßnahmen, die die Gestapo im Herbst 1934 einleitet,
richten sich ohne Ansehen der Person gegen alle mutmaßlich
homosexuellen Männer.
So ordnet das
Sonderdezernat am 24.10.1934 in einem an alle Polizeibehörden
versandten Telegramm die reichsweite Erfassung sämtlicher
Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt haben,
an. Namentliche Listen sind bis zum 1. Dezember einzureichen. Am
1.11.1934 wird, um Zweifeln zu begegnen, in einem zweiten
Telegramm präzisiert, dass nur Männer zu melden
seien. Mitzuteilen sei auch die Mitgliedschaft in politischen
Organisationen, ebenso sei auf homosexuelle Verfehlungen,
insbesondere von Seiten politischer Persönlichkeiten
zu achten. Insgesamt scheint diese erste Erfassungsaktion aber nur
begrenzten Erfolg zu haben. Einige Polizeistationen teilen jedenfalls
mit, dass derartige Personen im hiesigen Dienstbezirk keine
vorhanden seien.
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Das Gestapo-Sonderdezernat versucht nun, seine Ziele mit anderen
Maßnahmen umzusetzen. Im Dezember 1934 beginnt die Gestapo
in Berlin, Razzien auf Homosexuelle durchzuführen. Dabei werden
Gaststätten, in der Folge aber oft auch Privatwohnungen durchsucht.
Die Gestapo arbeitet nach dem Schneeballprinzip: Zunächst
versucht man, an bekannten Treffpunkten möglichst viele Homosexuelle
festzunehmen, Amtshilfe leistet dabei auch die SS-Leibstandarte
Adolf Hitler. Die Verhafteten werden dann in das Geheime Staatspolizeiamt
in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht, wo sie oft 12
und mehr Stunden in den Gängen stehen müssen, ohne
auch nur ihre Notdurft verrichten zu dürfen. Während
der Vernehmungen werden sie beschimpft und misshandelt. Ziel ist
es, die Namen weiterer Homosexueller in Erfahrung zu bringen, die
man dann zur Vernehmung vorlädt oder mittels Hausdurchsuchung
zu überführen versucht. Die erste größere Razzia
findet offenbar am 1.12.1934 statt. An diesem Samstagabend durchsucht
die Gestapo mehrere Bars, die man als Treffpunkte Homosexueller
identifiziert hat. Dabei
verhaftet man auch den 19-jährigen Textilmodenschüler
Erwin Keferstein. Allein in diesem
Verfahren werden schließlich etwa 70 Männer verhaftet.
Nach ihrer
Vernehmung werden die Gefangenen entweder entlassen oder in
das sogenannte Kolumbia-Haus (Tempelhof) gebracht,
von wo ein sehr großer Teil später in
das Konzentrationslager Lichtenburg verschleppt wird. Unter
ihnen ist auch der Schauspieler Kurt von
Ruffin, der die Zustände im KZ Lichtenburg später
eindringlich schildert.
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Die
Berliner Homosexuellenbar Eldorado nach ihrer
Schließung, vermutlich im Frühjahr 1933
Bildquelle: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. II6938
Fotograf: k.A.
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Auch in anderen
Regionen gibt es Aktionen gegen die homosexuelle Szene. So kommt
es in Bayern bereits in der Nacht zum 21.10.1934 zu einer ähnlichen
Aktion. Dabei werden 184 Personen festgenommen und erkennungsdienstlich
behandelt. 24 homosexuelle Männer werden in Polizeihaft genommen,
54 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Dort werden sie gesondert
von allen übrigen Gefangenen in einer Baracke für sich
untergebracht. Die Baracke ist auch in der Nacht hell erleuchtet.
Ein ausreichender Wachdienst innerhalb der Baracke sorgt dafür,
dass die Häftlinge während der Nacht sich einander nicht
nähern können, untertags werden sie ganz besonders zu
körperlicher Arbeit herangezogen. In der ersten Zeit ist beabsichtigt,
sie auch in der Kost etwas kürzer zu halten, sodass ein gewisser
Erfolg dieser Erziehungsmaßnahmen zu erwarten ist.
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Im Frühjahr 1935 weitet das Gestapa seine Tätigkeit dann
auf andere Regionen aus. Dazu werden sogenannte Sonderkommandos
entsendet, die vor Ort ermitteln. Seit März 1935 ist ein solches
Kommando in Frankfurt am Main im Einsatz. Entsetzt stellt der Berliner
Kriminalbezirkssekretär Fehling fest, dass es in den dortigen
Straßen von Strichjungen wimmelt, und zwar weit mehr
als in Berlin. Deren Vernehmung erweist sich allerdings als
erfolgreicher Ermittlungsansatz: Bis Januar 1936 werden 309 Strafverfahren
eingeleitet. Ein weiteres Sonderkommando wird Mitte November 1935
nach Koblenz entsandt, um homosexuelle Vorkommnisse im Kloster Waldbreitbach
aufzuklären.
In
einer Geheimrede vor SS-Gruppenführern erklärt Himmler
1937, die Gestapo hätte schon in den ersten sechs Wochen
unserer Tätigkeit auf diesem Gebiet im Jahre 1934 mehr Fälle
dem Gericht zugeführt, als das gesamte Polizeipräsidium
in Berlin in 25 Jahren. Tatsächlich sind es wohl hunderte,
wenn nicht gar tausende homosexueller Männer, die im Herbst
und Winter 1934/35 verhaftet und in vielen Fällen über
Wochen und Monate hinweg in Konzentrationslagern inhaftiert werden.
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Heinrich
Himmler mit einem Häftling im
Konzentrationslager Dachau 1936
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 152-11-12
Fotograf: Friedrich Franz Bauer
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Im Mai 1935
sitzen noch mindestens 513 Homosexuelle in Gestapo-Gefängnissen,
davon allein 325 im Konzentrationslager Lichtenburg. Das sind rund
80 Prozent aller Schutzhäftlinge, die sich damals in der Obhut
des Gestapa befinden ein klarer Hinweis darauf, welche Bedeutung
diesem Aufgabenbereich beigemessen wird. Einige der bei den Razzien
verhafteten Männer, so auch Erwin Keferstein, befinden sich
noch im Frühjahr 1936 in Schutzhaft.
Razzien
an Treffpunkten Homosexueller, Wohnungsdurchsuchungen und sogenannte
verschärfte Vernehmungen gehören auch in den
folgenden Jahren zu den bevorzugten Ermittlungsmethoden von Gestapo
und Kriminalpolizei, um lokale Verfolgungswellen zu inszenieren.
Ein besonderes Augenmerk haben die Beamten dabei auf Strichjungen,
die einen guten Einblick in die Homosexuellenszene haben und viele
Männer belasten können. Aber auch ,gewöhnliche' Homosexuelle
werden in den Verhören so unter Druck gesetzt, dass viele schließlich
die Namen ihrer Freunde preisgeben. Besonders die Gestapobeamten
bedienen sich dabei teilweise brachialer Methoden, sie schrecken
auch vor körperlicher Gewalt und Folter nicht zurück.
Die verschärfte Vernehmung, wie sie bei der Gestapo
genannt wird, wird ansonsten nur in Hochverratsfällen angewandt.
Auf eine entsprechende Beschwerde erklärt Josef Meisinger,
der Leiter des Sonderdezernats jedoch, dass sie auch bei Homosexuellen
genutzt werden dürfe, da unter ihnen ein Zusammenhang existiere,
der dem unter Kommunisten üblichen ähnlich
sei.
Allerdings
betreiben die lokalen Polizeibehörden die Homosexuellenverfolgung
nicht immer mit dem Nachdruck, den man sich bei der Berliner Gestapo
wünscht. Die dort 1936 gegründete Reichszentrale
zur Bekämpfung der Homosexualität entsendet deswegen
immer wieder Sonderkommandos
mit Gestapobeamten des Homosexuellendezernats in die Provinz. Diese
übernehmen vorübergehend die Ermittlungstätigkeit,
offenbar mit dem Ziel, die örtliche Kriminalpolizei anzuleiten
und zu einem entschiedeneren Vorgehen zu motivieren. In der Praxis
verläuft die Zusammenarbeit jedoch nicht immer reibungslos,
häufig kommt es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gestapo,
Kripo und Staatsanwaltschaft. Doch der Einsatz der Sonderkommandos
führt letztlich dazu, dass die Verfolgungstätigkeit in
bestimmten Regionen angeheizt wird. So zeigen sich in den Anklagestatistiken
deutliche regionale Unterschiede, in denen sich vor allem der örtlich
verschiedene Einsatz der Sonderkommandos der Gestapo widerspiegelt,
wie in den Berichten des Reichsjustizministeriums immer wieder betont
wird.
Lesben
bleiben von derartigen Verfolgungswellen verschont ganz in
der Logik Himmlers, der Frauen im nationalsozialistischen Männerstaat
keine tragende Rolle zubilligt. Ihre Treffpunkte, Festivitäten
und Freizeitaktivitäten werden weitgehend geduldet. Zwar werden
Vereinigungen wie der Berliner Kegelklub Lustige Neun
von der Gestapo teilweise über Jahre hinweg beobachtet. Im
April 1937 kommt es bei einem der Bälle, die der Klub veranstaltet,
auch zu einer Razzia, bei der 95 Frauen und zwei Männer
auf das Polizeipräsidium gebracht werden, um ihre Personalien
zu überprüfen. Ziel der Überwachungsmaßnahmen
ist aber das versteckte Auftreten homosexueller männlicher
Personen bei den Veranstaltungen des Klubs. Die so enttarnten
Männer geraten denn auch in die Verfolgungsmaschinerie von
Gestapo und Justiz.
Literaturtipp:
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
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