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Homosexuelle
in Straf- und Konzentrationslagern
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Wird die Inhaftierung
Homosexueller in Konzentrationslagern 1934/35 noch als vorübergehende
erzieherische Maßnahme verstanden, so wird sie
seit 1937 zunehmend als dauerhaftes Präventionskonzept gerechtfertigt.
Für Himmler ist die Frage, was mit Homosexuellen nach Verbüßung
einer Gefängnisstrafe geschieht, von großer Bedeutung,
schließlich kommt der Homosexuelle in seinen Augen
aus dem Gefängnis genauso homosexuell heraus, wie er
hineingekommen ist.
1937 setzt sich
schließlich eine Differenzierung Homosexueller in Verführer
und Verführte durch, die mit dem Bild der Homosexualität
als Seuche korrespondiert und eine Identifizierung derjenigen
ermöglichen soll, bei denen die präventive Einweisung
in Konzentrationslager vorzunehmen ist. So erklärt Josef Meisinger,
der Leiter des Gestapo-Homosexuellendezernats, dass es sich
nur bei einem verschwindend kleinen Teil der Homosexuellen um wirklich
homosexuelle Veranlagung handelt, die meisten hätten
sich zu irgendeinem Zeitpunkt sehr normal betätigt und
dann lediglich aus Übersättigung zur Homosexualität
verführen lassen. Klarer wird die Zielrichtung von der SS-Zeitschrift
Das Schwarze Korps formuliert, die die Verführer
folgendermaßen charakterisiert: Ihre Gefährlichkeit
übersteigt jede Vorstellungskraft. Vierzigtausend Anormale,
die man sehr wohl aus der Volksgemeinschaft ausscheiden könnte,
sind, wenn man ihnen Freiheit lässt, imstande, zwei Millionen
zu vergiften.
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Mit solchen Thesen wird der Boden bereitet für die Einweisung
tausender homosexueller Männer in die nationalsozialistischen
Straf- und Konzentrationslager: Während die Verführten
über die normale Strafverfolgung nach § 175 auf den rechten
Weg kommen sollen, will man die Verführer
künftig aus der Volksgemeinschaft ausscheiden.
Das wird teilweise schon bei der Vollstreckung der Gefängnisstrafen
praktiziert. So werden besonders jene Homosexuellen, die man zu
hohen Haftstrafen verurteilt hat, in die Moorlager des Emslandes
und andere Strafgefangenenlager eingewiesen. Die Haftbedingungen
in diesen Lagern, die unter der Verwaltung des Reichsjustizministeriums
stehen, ähneln denen in den Konzentrationslagern. Anders als
in den von der SS verwalteten KZ werden die Häftlinge nach
Ablauf ihrer Haftzeit aber entlassen. Für einige führt
der Weg von dort dennoch direkt in die Konzentrationslager.
Als rechtliche
Grundlage der KZ-Einweisungen dient dabei nicht nur die staatspolizeiliche
Maßnahme der Schutzhaft, die auch schon vor einer
Verurteilung verhängt werden kann, wenn, so die schwammige
Formulierung, durch Art und Umfang des Verhaltens der Täter
zugleich die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar
gefährdet ist. Im Dezember 1937 wird auch die sogenannte
Vorbeugungshaft eingeführt, die von der Kriminalpolizei
angeordnet werden kann und eine Einweisung ins Konzentrationslager
nach sich zieht. In Vorbeugungshaft kann genommen werden, wer drei
Mal zu mindestens sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde.
In einem Erlass vom 12.7.1940 stellt das Reichssicherheitshauptamt
schließlich klar, dass in Zukunft alle Homosexuellen,
die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung
aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen
sind.
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Kennzeichen für KZ-Häftlinge
Bildquelle: United States Holocaust Museum Washington
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Betroffen davon ist fortan ein großer Teil, vermutlich bis
zur Hälfte der Verurteilten. Besonders diejenigen, die dem
Konstrukt des "Verführers" am besten entsprechen,
werden nun in die Konzentrationslager eingewiesen: Männer,
die wegen Prostitution oder "Jugendverführung" nach
§ 175a verurteilt wurden. So kommt Jürgen Müller
für die KZ-Einweisungspraxis in Köln zu dem Ergebnis,
dass "der gewöhnliche Homosexuelle' in der Regel
nicht mit der Einweisung in ein Konzentrationslager bedroht"
ist. Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch Alexander Zinn für
Leipzig gekommen. Von 81 KZ-Häftlingen, die sich hier identifizieren
lassen, lässt sich nur in einem Fall einigermaßen zweifelsfrei
nachweisen, dass es alleine die einvernehmliche Homosexualität
ist, die zur KZ-Einweisung führt. Dagegen sind 29 der deportierten
Männer wegen "Jugendverführung" vorbestraft,
in 17 Fällen geht es um Kindesmissbrauch, in acht um Prostitution.
Ansonsten sind meist politische Vergehen oder andere kriminelle
Delikte für die KZ-Einweisung der auch nach § 175 vorbestraften
Männer maßgeblich.
Der für
die Homosexuellenverfolgung maßgebliche Erlass des Reichssicherheitshauptamtes
wird von der Leipziger Kripo als ein Sondererlass "gegen homosexuelle
Jugendverführer" interpretiert. Und es spricht viel dafür,
dass der Erlass nicht nur in Köln und Leipzig so interpretiert
wird, sondern in weiten Teilen des Reiches. Kurz: Das bis heute
vorherrschende öffentliche Bild vom Rosa-Winkel-Häftling,
das von den Zeitzeugenberichten "gewöhnlicher" Homosexueller
wie Josef Kohout und Rudolf Brazda
geprägt ist, scheint wenig repräsentativ zu sein. Offenbar
sind Männer wie Kohout und Brazda eher "ungewöhnliche"
KZ-Häftlinge, also Ausnahmefälle, die wenig Aussagekraft
haben hinsichtlich der Einweisungspraxis der Kriminalpolizeistellen.
Insgesamt,
so schätzte Rüdiger Lautmann im Jahr 1977, dürften
zwischen 5.000 und 15.000 homosexuelle Männer in den NS-Konzentrationlagern
inhaftiert worden sein, wobei jüngere Schätzungen eher
von 5.000 als von 15.000 KZ-Häftlingen ausgehen. In die Konzentrationslager
werden sie in der Regel erst nach Verbüßung ihrer Gefängnis-
oder Zuchthausstrafe eingewiesen. Sie werden besonders gekennzeichnet,
zunächst unter anderem mit einem großen A wie im KZ Lichtenburg,
später, nach Einführung einheitlicher Häftlingskategorien
ab etwa 1938, mit dem Rosa Winkel.
Die Behandlung
durch die SS-Mannschaften ist oft außerordentlich grausam.
So werden homosexuelle Häftlinge grundsätzlich in die
sogenannten Strafkompanien eingewiesen, in denen die Lebensbedingungen
noch schlechter sind als im restlichen Lager. In Sachsenhausen sind
das die Strafkompanie Schuhläufer, die Tongrube
und das Klinkerwerk, in Buchenwald ist es der Steinbruch, in Dachau
die Kiesgrube. Im Gegensatz zu den Strafgefangenenlagern, in denen
Homosexuelle nach dem Verdünnungsprinzip über
alle Baracken verteilt werden, bringt man sie in den KZ zeitweise
auch in Isolierbaracken unter. In
Buchenwald kommen Homosexuelle etwa ab 1939 geschlossen in
den Block der Strafkompanie, in Sachsenhausen werden sie in
der Isolierung inhaftiert. Dabei handelt es sich um
Baracken, die vom restlichen Lager mit einem Zaun abgetrennt sind.
Zudem gibt es
Zeiten, in denen die SS den Homosexuellen besondere Aufmerksamkeit
schenkte und deren Vernichtung systematisch organisierte,
so der ehemalige Häftling Conrad Finkelmeier in seinem Erlebnisbericht
über Buchenwald und Ravensbrück. So lässt sich für
den Sommer 1942 in verschiedenen Konzentrationslagern eine Häufung
der Todesfälle unter den Rosa-Winkel-Häftlingen feststellen.
In Sachsenhausen kommt es zu einer Mordaktion, der fast alle dort
inhaftierten Homosexuellen zum Opfer fallen. Nachdem man sie von
der Isolierung ins Außenlager Klinkerwerk verlegt hat, werden
von Juli bis September 1942 mindestens 200 homosexuelle Männer
umgebracht. In Buchenwald wird von Juni bis September 1942 fast
die Hälfte der damaligen Rosa-Winkel-Häftlinge getötet.
Und auch in Ravensbrück, wo im März ein Transport mit
33 Homosexuellen aus Buchenwald eintrifft, kommen im Frühjahr
und Sommer 1942 auffällig viele homosexuelle Männer ums
Leben.
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Ziel des gesamten
KZ-Systems ist die sogenannte Vernichtung durch Arbeit.
Für die homosexuellen Häftlinge spielt aber auch der Gedanke
der Umerziehung eine Rolle. Vorrangig soll die homosexuelle
Veranlagung ausgemerzt werden, wenn dies nicht gelingt,
ist die Vernichtung des homosexuellen Menschen das Ziel.
Der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß schildert das recht
zynisch: Während die zur Abkehr Willigen, die den festen
Willen dazu hatten, auch die härteste Arbeit durchstanden,
gingen die anderen langsam, je nach Konstitution, physisch zu Grunde.
Da sie von ihrem Laster nicht lassen konnten oder nicht wollten,
wussten sie, dass sie nicht mehr frei werden würden. Dieser
stärkst wirksame psychische Druck bei diesen meist zart besaiteten
Naturen beschleunigte den physischen Verfall. Kam dazu noch etwa
der Verlust des Freundes durch Krankheit oder gar durch
Tod, so konnte man den Exitus voraussehen. Viele begingen Selbstmord.
Der Freund bedeutete diesen Naturen in dieser Lage alles.
Es kam mehrere Male vor, dass zwei Freunde zusammen in den Tod gingen.
Verstärkt
wird die prekäre Situation der homosexuellen Häftlinge
dadurch, dass das Prestige des rosa Winkels in allen
KZL eindeutig negativ ist. Eugen Kogon beschreibt den sozialen
Status der Homosexuellen in der Häftlingsgesellschaft folgendermaßen:
Im KL genügte schon der Verdacht, um einen Gefangenen
als Homosexuellen zu deklarieren und ihn so der Verunglimpfung,
dem allgemeinen Misstrauen und besonderen Lebensgefahren preiszugeben.
Bei dieser Gelegenheit muss gesagt werden, dass die homosexuelle
Praxis in den Lagern sehr verbreitet war; die Häftlinge taten
aber nur jene in Acht und Bann, die von der SS mit dem rosa Winkel
markiert waren.
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Der Rosa-Winkel-Häftling Willi Heckmann
(Mitte)
1942 mit dem Lagerorchester im KZ Mauthausen
Foto: Fritz Kornatz, SS
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Auch deswegen
sind die Überlebenschancen der Rosa-Winkel-Häftlinge eher
gering. Die Mehrheit überlebt den NS-Terror nicht. Rüdiger
Lautmann, der die Daten von 2.542 homosexuellen KZ-Häftlingen
auswerten konnte, hat eine Todesrate von 60 Prozent errechnet, bei
der Vergleichsgruppe der politischen Häftlinge liegt sie bei
42, bei den Bibelforschern bei 35 Prozent.
Lesbische Sexualität
scheint dagegen kein Grund für eine Einweisung in Konzentrationslager
zu sein. Auch wenn über diese Frage immer wieder spekuliert
wird, finden sich dafür keine stichhaltigen Belege. Claudia
Schoppmann kann zwar nachweisen, dass in den KZ-Unterlagen einer
Handvoll weiblicher Häftlinge die Bemerkung lesbisch
notiert wird. Bei genauer Betrachtung wird aber deutlich, dass die
sexuelle Orientierung in keinem dieser Fälle ausschlaggebend
ist für die KZ-Einweisung. Vielmehr gibt es in jedem Einzelfall
andere plausible Haftgründe, die ausreichend sind für
eine Deportation in ein Konzentrationslager. Vgl. dazu zum Beispiel
die Fälle von Mary
Pünjer, Margarete
Rosenberg und Elli
Smula.
Literaturtipp:
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
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