Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
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Achim Gercke

Sachverständiger für Rasseforschung

Achim Gercke wird am 3.8.1902 in Greifswald geboren. Seit 1922 Studium der Naturwissenschaften in Breslau, Göttingen und Freiburg, 1930 promoviert zum Dr. phil. nat., danach Universitätsassistent in Greifswald. 1926 tritt Gercke der NSDAP bei, gleichzeitig gründet er das „Archiv für berufsständische Rassestatistik“. Seit 1931 betreibt er eine Auskunftei zur rassischen Herkunft der NSDAP-Mitglieder, seit 1.1.1932 ist er Abteilungsleiter bei der Reichsleitung der NSDAP. Dabei legt er „Karteien von über 500.000 Juden und Judenstämmigen“ an. Am 13.4.1933 wird Gercke schließlich zum Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern berufen. Gercke plant hier die „Errichtung eines Institutes für Volkstums-Forschung“. 1933 wird Gercke darüber hinaus Mitglied des Reichstages.

In seiner Jugend macht Gercke einige homosexuelle Erfahrungen. Am 21.4.1932 geht er dann eine Ehe mit Alwine Rodewald aus Adensen bei Hannover ein. Offenbar unterhält er aber weiterhin Kontakte zu anderen Homosexuellen. Und auch Dr. Hagen, den er am 20.4.1933 zu seinem Büroleiter bestellt, scheint homosexuell zu sein.

Achim Gercke

Achim Gercke
Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-2006-1009-500
Fotograf: unbekannt

Im Zuge der im Winter 1934/35 einsetzenden Homosexuellenverfolgung gerät auch Gercke ins Visier der Gestapo. Ob er auch verhaftet wird, wie es die Exilzeitung Pariser Tageblatt am 19.2.1935 berichtet, ist nicht mehr zu klären – in seiner Personalakte finden sich darauf keine Hinweise. Der Gestapo gelingt es schließlich, Gercke eine homosexuelle Handlung im April 1934 in Würzburg nachzuweisen. Allerdings handelt es sich um keine strafbare Handlung „im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zu § 175“. Im Folgenden werden auch die ,Jugendsünden' Gerckes aufgedeckt. Für die Gestapo ist das Grund genug, auf die Entlassung Gerckes aus dem Staatsdienst und seinen Ausschluss aus den NS-Organisationen zu dringen – ganz im Sinne der Verschwörungstheorie einer homosexuellen Unterwanderung des NS-Staates.

Gercke und sein Mitarbeiter Dr. Hagen werden denn auch im Februar 1935 „wegen der bekannten Vorkommnisse mit sofortiger Wirkung“ gekündigt. Später werden mit beiden Auflösungsverträge geschlossen. Anders als die Gestapo zeigt sich das Reichsinnenministerium dabei relativ verständnisvoll. So habe es sich bei Gerckes frühen homosexuellen Kontakten wohl „um Verirrungen des Gefühlslebens in der Jünglingszeit gehandelt“. Und auch Gerckes Beteuerung, der Vorfall aus dem Jahr 1934 sei der einzige „Rückfall“ und „dem Einfluss des Alkohols zuzuschreiben gewesen“, hält man „für durchaus glaubhaft“.

Neben seinem Amt im Innenministerium verliert Gercke auch sein Abgeordnetenmandat, zum 8.4.1935 scheidet er aus dem Reichstag aus. Darüber hinaus wird er per einstweiliger Verfügung aus der NSDAP ausgeschlossen. Ob gegen Gercke nach der Verschärfung des § 175 noch ein Strafverfahren eingeleitet wird, wie es im Fall von Helmuth Brückner geschieht, ist unbekannt. Dass Gercke im Zweiten Weltkrieg einem Bewährungsbataillon zugeteilt worden sein soll, könnte man als Hinweis auf eine entsprechende Verurteilung werten.

Nach 1945 arbeitet Gercke im Landeskirchlichen Archiv der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und als Standesbeamter in Adensen, überdies betätigt er sich als Genealoge und verfasst heimatkundliche Bücher. Er stirbt am 27.10.1997.

Literaturtipps:

Alexander Zinn: Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten. Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps. Frankfurt am Main 1997: Peter Lang.

Alexander Zinn: »Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link zum Buchtipp

Alexander Zinn: Schwule Nazis. Homosexuelle in Presse und Propaganda der Linken.

© Alexander Zinn 2017