Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
Aktuelles
Ideologie
Razzien
Paragraf 175
KZ-Haft
Biografien
Rehabilitierung
 
Literatur
Impressum
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Anton Hartl

Friseur

Anton Hartl wird am 5.9.1916 in Schönbach (Böhmen) geboren. Der Vater ist Bäckermeister und betreibt eine eigene Konditorei, zunächst in Franzensbad, später in Brandau bei Katharinenbad. Der Vater stirbt, als Hartl 16 Jahre alt ist. Dieser macht eine Friseurlehre und arbeitet fortan als Friseurgehilfe. Im Sommer 1938 ist er bei einem Friseurmeister beschäftigt, der die Schauspieler der „Westböhmischen Volksbühne“, genannt „Fischli-Bühne“, frisiert. Dabei handelt es sich um eine Theatertruppe überwiegend jüdischer Flüchtlinge, die Gastspiele in den deutschsprachigen Teilen Böhmens gibt.

Ende August 1938 gastiert die Fischli-Bühne in Sodau, fünf Kilometer nördlich von Karlsbad, als Hartl zufällig den 25-jährigen Bühnenarbeiter Rudolf Brazda kennenlernt. Brazda berichtet darüber: „Der Toni hatte Verbindung mit der Theatergruppe, weil er gerne frisiert hat, und der hat mich gesehen, wir kamen zufällig auf einem Pissoir zusammen.“

Anton Hartl und Rudolf Brazda

Toni Hartl (vorne) und Rudolf Brazda
1939 in der Nähe von Karlsbad

Bildquelle: Nachlass Brazda

Einige Tage später feiern die beiden Hartls 22. Geburtstag: „Einmal sind wir draußen gewesen, es war finster, auf einmal, weil ich gesehen habe er steht auf mich, habe ich ihn in‘ Arm genommen und geküsst. Seitdem war der Feuer und Flamme für mich.“ Fortan sind Brazda und Hartl unzertrennlich. Hartl umwirbt Brazda, lädt ihn ein zu Ausflügen nach Schönbach und Karlsbad und überrascht ihn mit kleinen Aufmerksamkeiten.

Nach dem Einmarsch der Deutschen im Oktober 1938 wird die Fischli-Bühne aufgelöst. Die beiden ziehen nach Karlsbad, Hartl arbeitet dort als Friseur, der nunmehr arbeitslose Brazda lässt sich von ihm aushalten. Die beiden beziehen zwei sich gegenüberliegende Dachzimmer, die sie mitsamt dem Treppenabsatz als Wohnung nutzen. Doch die Angst, ins Visier der Kripo zu geraten, ist groß. Besonders der einschlägig vorbestrafte Brazda weiß genau, wie gefährlich die Situation ist.

Und Brazdas Sorgen sind nicht unberechtigt. Denn die Karlsbader Kriminalpolizei bekommt schließlich einen Hinweis, der umfangreiche Ermittlungen in Gang setzt. Am 31.12.1940 geht bei Kriminalsekretär Beyer ein handgeschriebener Brief ein, der eine Person aus Brazdas Umfeld ins Blickfeld der Polizei rückt: „Ich möchte Sie aufmerksam machen, dass bei uns im Hause Reichsadler ein Warmer Bruder namens Josef Nawrocki wohnt und nur immer Herrenbesuche empfängt und auch frech mit den Hauseinwohnern ist. Bitte einmal dem Herrn seine Schnauze putzen. Heil Hitler. Julius Lohwasser.“

Am 1.4.1941 wird zunächst Brazda verhaftet. Am 7. Mai trifft es auch Hartl, der inzwischen beim Militär ist. Er wird zuerst in Regensburg inhaftiert, Ende Mai verlegt man ihn dann ins Gerichtsgefängnis von Eger. Am 5. September, Hartls 25. Geburtstag, findet der Prozess vor dem Landgericht Eger statt. Hartl versucht sich zu entlasten, indem er darauf verweist, „zur Tschechenzeit“ habe man „derartige Delikte nicht so streng verfolgt“. Das allerdings lässt das Gericht kalt. Hartl, Brazda und zwei weitere Angeklagte werden nach § 175 verurteilt. Brazda erhält mit 14 Monaten Gefängnis die härteste Strafe, Hartl kommt mit acht Monaten am glimpflichsten davon.

Brazda erhält die höchste Strafe, weil man in ihm den „Verführer“ sieht, den auch seine Vorstrafe nicht davon abhalten konnte, „weiterhin seinem Laster zu fröhnen [sic!]“. Ihm wird vorgehalten, „dass er den Hartl verführt hat“. Hartl wird hingegen als strafmildernd zugutegehalten, „dass er von Brazda verführt wurde“.

Hartl verbüßt die ersten Monate seiner Strafe im Gerichtsgefängnis von Eger. Ende November 1941 wird er als Wehrmachtsangehöriger dann ins Wehrmachtsgefängnis Torgau/Brückenkopf überführt.

Hartl überlebt den Krieg und zieht später nach Essen. Regelmäßig besucht er Brazda im Elsass. Doch seine Versuche, die alte Liebe wiederaufleben zu lassen, scheitern, denn Brazda hat inzwischen einen neuen Freund gefunden.

Literaturtipp:

Alexander Zinn: "Das Glück kam immer zu mir". Rudolf Brazda Das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich. Frankfurt am Main 2011: Campus. Link zum Buchtipp

© Alexander Zinn 2017