Rosa Winkel - Die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus
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Kurt Hiller

Jurist und Schriftsteller

Kurt Hiller, geboren am 17.8.1885 in Berlin, schließt sein Studium der Rechtswissenschaften 1907 mit der Dissertation "Das Recht über sich selbst" ab, in der er auch für die Abschaffung des § 175 plädiert. Seit 1908 Mitglied der Homosexuellenorganisation "Wissenschaftlich-humanitäres Komitee" (WhK), lebt Hiller als freier Schriftsteller in Berlin. Er avanciert zu einem angesehenen Intellektuellen, der sich für Pazifismus, Sozialismus und das von ihm entwickelte Staatsmodell einer "Logokratie" einsetzt. 1922 erscheint sein Buch "§ 175. Die Schmach des Jahrhunderts". Nach dem Rückzug Magnus Hirschfelds wird Hiller 1929 zum zweiten Vorsitzenden des WhK gewählt.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gerät Hiller als Sozialist, Jude und Homosexueller schon bald ins Fadenkreuz der neuen Machthaber. Am 23. März 1933 wird er erstmals verhaftet, am 1. April erneut. Wie er in seinen Memoiren schreibt, macht er sich nach seiner Entlassung Mitte Mai dennoch "Illusionen", mit den neuen Machthabern könne man sich politisch arrangieren. Schon im Februar 1933 hatte er die Hoffnung geäußert, dass die NSDAP "zum § 175 allmählich die Stellung gewinnt, die unser Komitee [WhK] bereits im Jahre 1897 eingenommen" habe. Allerdings wird Hiller schon bald desillusioniert, denn Mitte Juli wird er erneut verhaftet und bis Ende April 1934 in verschiedenen Konzentrationslagern festgehalten.

Kurt Hiller im Jahr 1930

Kurt Hiller an seinem 45. Geburtstag im Jahr 1930
Bildquelle: Kurt Hiller Gesellschaft e.V. Hamburg

Hillers Homosexualität ist nicht der Grund seiner Inhaftierung, wohl aber seine politische Haltung, zu der natürlich auch das Engagement im WhK gehört. Und auch in den Verhören geht es wiederholt um seine sexuelle Orientierung. So berichtet Hiller 1969 etwas unbestimmt, ihm seien Sexualakte angedichtet worden, "vor denen mir ekelt, über deren Vorkommen mich als kritischer Jurist zu entrüsten ich freilich einen wissenschaftlichen Grund nie sah". Nach einer weiteren Vorladung der Gestapo flüchtet er Ende September 1934 nach Prag, 1938 dann nach London. Auch im Exil engagiert sich Hiller politisch und publiziert in verschiedenen Exilzeitschriften.

1949 betreibt er die Neugründung des WhK in Frankfurt am Main, überwirft sich aber mit seinem Mitstreiter Hans Giese, der schließlich die "Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts" gründet. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1955 lebt Hiller in Hamburg. Dort stirbt er am 1.10.1972.

Im Jahr 2000 wird die KURT HILLER GESELLSCHAFT gegründet, um die Erinnerung an Hiller wachzuhalten, dessen Leben und Werk zu erforschen und der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Weitere Informationen unter http://www.hiller-gesellschaft.de/

Im selben Jahr wird auf Initiative des Berliner Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) eine kleine Parkanlage an der Grunewaldstraße nach Kurt Hiller benannt. Der damalige Schwulenverband (seit 1999 LSVD) hatte sich seit 1997 für die Ehrung Hillers eingesetzt. Eigentlich hatte der Verband den westlichen Vorplatz des S-Bahnhofes Friedenau präferiert, weil Hiller in Friedenau in der Hähnelstraße 9 gewohnt hatte. Ein Vorschlag, den die Schöneberg SPD aufgriff: Am 16. Dezember 1998 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Schöneberg die Benennung des Platzes am S-Bahnhof. Ein Beschluss, den die Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Grüne) aber ablehnte, weil die Platzfläche angeblich "ungenügend" sei. Im Mai 2000 beschloss der Kulturausschuss der BVV schließlich, statt des Platzes ein zu einer Grünfläche umgewandeltes Trümmergrundstück an der Grunewaldstraße nach Hiller zu benennen. Am 12. November 2000 wird der Park nach ihm benannt. Vier Jahre später, am 14. April 2004, wird schließlich auch ein biografisches Informationsschild angebracht, das Hiller als Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung ausweist.

 

Literaturtipps:

Kurt Hiller: § 175. Die Schmach des Jahrhunderts. Hannover 1922: Steegemann.

Kurt Hiller: Leben gegen die Zeit [Logos]. Reinbek bei Hamburg 1969: Rowohlt.

Kurt Hiller: Leben gegen die Zeit [Eros]. Reinbek bei Hamburg 1973: Rowohlt.

Raimund Wolfert: Homosexuellenpolitik in der jungen Bundesrepublik. Kurt Hiller, Hans Giese und das Frankfurter Wissenschaftlich-humanitäres Komitee. Göttingen 2015: Wallstein.

Rüdiger Schütt (Hrsg.): "Ich glaube, wir verstehen uns". Klaus Mann und Kurt Hiller - Weggefährten im Exil. München 2011: edition text + kritik.

Alexander Zinn: Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten. Zu Genese und Etablierung eines Stereotyps. Frankfurt am Main 1997: Peter Lang.

Alexander Zinn: »Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link zum Buchtipp

© Alexander Zinn 2017