Sicherlich auch
aufgrund der Reaktion seiner Eltern hat Schwarze von Beginn an ein
gebrochenes Verhältnis zu seiner Homosexualität. Über
sein schwules Leben in den 30er Jahren will er auch sechzig Jahre
später nur wenig erzählen. Gleichwohl hat er damals Kontakte
zu anderen Homosexuellen. Und mit Hans hat er auch einen festen
Freund.
Mitte Mai 1940,
nach einem Kurzurlaub in der Sächsischen Schweiz, besucht Schwarze
die Leipziger Gaststätte Burgkeller ein
beliebter Treffpunkt Homosexueller. Dort wird er von einer jungen
Frau angesprochen, die ihn fragt, ob er denn nicht bei der Armee
sei. Schwarze erzählt frei von der Leber weg, dass viele seiner
Schulfreunde schon gefallen seien: Muss Adolf denn so ein
Blutvergießen anrichten? So ein Elend über die Menschen
verbreiten? Über alle Länder? Mit diesen Worten,
so Schwarze später, habe er der jungen Frau geantwortet. Diese
steht auf und verlässt den Tisch. Schwarze geht zur Toilette.
Dort warten bereits zwei Gestapo-Beamte, die ihn festnehmen.
Schwarze ist
in eine der unauffällig durchgeführten Razzien
der Geheimen Staatspolizei geraten. Diese sucht in Gaststätten
wie dem Burgkeller nach Homosexuellen. Dafür werden auch Agents
Provocateurs eingesetzt, die mit ihren Opfern anbändeln, bevor
sie sie verhaften. Schwarze hingegen wird zunächst wegen seiner
politischen Äußerungen verhaftet. Erst durch die folgende
Hausdurchsuchung, bei der Liebesbriefe seines Freundes gefunden
werden, wird seine Homosexualität offenbar. In
den Verhören der Gestapo bekennt er sich daraufhin zu seiner
Veranlagung. Das Angebot, als Gestapo-Spitzel im sogenannten Homosexuellenmilieu
zu arbeiten, lehnt er ab.
Am 22.6.1940
wird Schwarze von der Gestapo ins Leipziger Polizeigefängnis
überstellt. Schon kurze Zeit später, so seine Erinnerung,
wird er dann zu einer Gerichtsverhandlung gebracht. Weder ein Staatsanwalt
noch sein Rechtsanwalt nehmen daran teil, so zumindest die Erinnerung
von Schwarze. Der Richter fragt ihn, ob er homosexuell sei, was
Schwarze ehrlich bestätigt. Handlungen, die nach § 175
strafbar wären, kann man ihm aber nicht nachweisen. Zum Schluss
der Verhandlung erklärt der Richter, es gebe keinen Paragrafen,
den Angeklagten zu verurteilen. Aber im nationalsozialistischen
Sinne sei er zu erziehen.
Schwarzes Hoffnung,
entlassen zu werden, wird enttäuscht. Er kommt erneut in Untersuchungshaft.
Und dort erhält er Besuch von einem Gestapo-Beamten, der ihm
drei Zettel zur Unterschrift vorlegt. Umschulung auf ein ¼
Jahr, auf 1 Jahr oder auf unbestimmte Zeit,
habe darauf gestanden. Und: Heimkehr unerwünscht.
Ich habe in meiner Rage, in meiner Nervosität gar nicht
gewusst, was ich unterschreibe, erinnert sich Schwarze später.
Sieben Monate nach seiner Verhaftung, am 18.12.1940, wird Walter
Schwarze schließlich aus dem Leipziger Polizeigefängnis
entlassen allerdings nicht in die Freiheit, sondern erneut
in die Obhut der Gestapo. Wir wurden an die Handschellen
genommen, und sind vom Untersuchungsgefängnis, von der Wächterstraße
bis zum Bahnhof gelaufen. Dort standen Gefängniswagen. Dort
wurden wir eingepfercht... Ich habe von dieser Minute an nichts
mehr empfunden, gar nichts mehr. Durch die Straßen Leipzigs
zu laufen, wie die Schwerverbrecher, das war entsetzlich für
mich.
Die folgende
Nacht verbringt Schwarze im Gefängnis von Berlin Moabit. Dort
versucht ein anderer Gefangener, sexuellen Kontakt aufzunehmen.
Schwarze ist entsetzt. Mein einziger Gedanke war, hier herauszukommen
nur in das Konzentrationslager. Den Gedanken, was das eigentlich
ist, habe ich mir nicht gemacht... Ich habe wirklich daran geglaubt:
an Umschulungslager, an ein politisches Umschulungslager, oder an
Wehrertüchtigung oder Vorbereitung auf die Armee oder auf die
Wehrmacht.
Am 19.12.1940
wird Schwarze in Sachsenhausen eingeliefert. Da wurde jede
einzelne Person aus dem Wagen herausbeordert, jeder kriegte mit
dem Gummiknüppel eins abgereicht... Als Walter Schwarze
an der Reihe ist, wird er von einem SS-Schergen durchsucht. In seiner
Tasche findet man das Foto einer Freundin: Und da guckt er
das Bild an, schüttelt mit dem Kopf. Er guckt mich an, und
ich habe keinen Schlag gekriegt. Wohl zu vermerken: keinen Schlag.
Während 20 einen Schlag gekriegt haben, fürs Genick, oder
mit der Faust ins Gesicht.
Wie fast alle
anderen homosexuellen Häftlinge wird auch Schwarze in die so
genannte Isolierung eingewiesen. Dabei handelt es sich
um ein Lager im Lager, um vier bis sechs Häftlingsbaracken,
die vom restlichen Konzentrationslager mit einem Zaun abgetrennt
sind. Die Homosexuellen werden in die Isolierung eingewiesen, um
die Verbreitung der Seuche Homosexualität im restlichen
Lager zu bannen, so der damalige Schutzhaftlagerführer und
spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Und der
SS-Terror ist hier besonders grausam. Die Blockführer der SS,
oft aber auch die Blockältesten, bei denen es sich um Häftlinge
handelte, erproben immer neue Quälereien und Folterpraktiken.
Tagsüber werden die Gefangenen u.a. in der Strafkompanie Schuhläufer
geschunden. Elf Stunden müssen sie über eine Prüfstrecke
aus Kies, Sand, Schlamm und Kopfsteinpflaster marschieren, um im
Auftrag des Reichswirtschaftministeriums Schuhe, Socken und andere
Kleidungsstücke auf ihre Haltbarkeit zu überprüfen.
Auch Schwarze
ist zeitweise in der Strafkompanie Schuhläufer: Aus der
Isolierung bin ich nur herausgekommen mit den Schuhen, die wir einlaufen
mussten für die Wehrmacht, so seine Erinnerung. Ansonsten
ist er im Stehkommando. Das heißt Strammstehen, den ganzen
Tag. Wer das nicht schafft, ist dem Tod geweiht. Als ein Häftling
im Mai 1941 vor Erschöpfung zusammenbricht, wird er auf Anweisung
des SS-Mannes Otto Kaiser in den Duschraum getragen und mit kaltem
Wasser traktiert. Da soll sich das schwule Schwein wieder
erholen, kommentierte Kaiser den Vorgang. Nach dem Mittagessen
liegt der Häftling immer noch unter der kalten Dusche, inzwischen
ist er tot. Abspritzen mit kaltem Wasser ist eine beliebte
Mordmethode. Stundenlang wird mit einem Wasserstahl auf die Herz-
und Nierengegend gezielt. Auf dem Totenschein steht dann Herzkollaps
oder Herz- und Kreislaufversagen.
Schwarze bekommt
den geschilderten Mord nicht mehr mit. Als im April 1941 Freiwillige
für den Aufbau des Konzentrationslagers Groß Rosen bei
Breslau gesucht werden, meldet er sich sofort. Ich habe nur
weggehen wollen, erklärt er die spontane Reaktion. Schlimmer
als in der Isolierung von Sachsenhausen konnte es seiner
Ansicht nach nirgendwo sein. Von den berüchtigten Steinbrüchen
anderer Konzentrationslager hatte er damals noch nicht gehört.
Tatsächlich
rettet die Meldung für Groß Rosen Walter Schwarze wohl
das Leben. Denn so entgeht er der Mordaktion vom Sommer 1942, der
damals fast alle homosexuellen Häftlinge von Sachsenhausen
zum Opfer fallen. Von Juli bis September 1942 mindestens 200 schwule
Männer ermordet. 89 der Ermordeten sind uns heute namentlich
bekannt.
Die Transportlisten
nach Groß Rosen weisen Schwarze als Nummer 260 - §
175 aus. In Groß Rosen kommt er Anfang Mai 1941 an.
Schwarze wird im Barackenbau und kurze Zeit auch im Steinbruch eingesetzt.
Als er sich gegen sexuelle Übergriffe eines anderen Häftlings
zur Wehr setzt, bekommt er die Unterstützung einiger politischer
Häftlinge. Diese sorgen schließlich auch dafür,
dass er bei leichteren Arbeiten eingesetzt wird, als Läufer
oder im Stubendienst. Mehrfach erkrankt er in den folgenden Jahren,
Fleckfieber, Bauchtyphus, Ruhr und Cholera sichern ihm immer wieder
einen Platz im Krankenrevier und schützten ihn so vor der von
den Nationalsozialisten angestrebten Vernichtung durch Arbeit.
So paradox es klingt, die Krankheiten, so meinte Schwarze später,
hätten ihm das Leben gerettet.
Irgendwann um
die Jahreswende 1943/44 versucht Schwarzes Mutter, ihn im Konzentrationslager
zu besuchen. Sie kämpft um seine Freilassung und hat schließlich
sogar Erfolg. Am 24. April 1944, nach fast vier Jahren Gefangenschaft,
wird Walter Schwarze in die Wehrmacht entlassen. Nun soll er plötzlich
für den Staat kämpfen, der ihn ins Konzentrationslager
gesteckt hat. Doch Schwarze ist froh, im Gegensatz zu den meisten
anderen der Hölle der KZs entkommen zu sein. Nur das
zählt!
Erneut hat Schwarze
Glück im Unglück: Auf seinen Entlassungspapieren aus dem
KZ wird kein Haftgrund genannt. Bei der Wehrmacht steckt man ihn
im Gegensatz zu vielen anderen Homosexuellen, die aus Gefängnis
oder KZ zum Militär entlassen werden, nicht in eines der Himmelfahrtskommandos,
die den sicheren Tod bedeuten. Schwarze erfüllt seine Dienstpflicht
in Schreibstuben und in technischen Abteilungen, erst in Frankreich,
später in Schlesien, Nordböhmen und Österreich. In
den letzten Kriegstagen gerät er bei Havelberg in der Prignitz
in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
Damit beginnt
das nächste Martyrium des Walter Schwarze. Dass er über
drei Jahre in den Konzentrationslagern der Nazis gelitten hat, glaubt
ihm keiner der sowjetischen Offiziere. Schwarze wird als Kriegsgefangener
in sowjetische Arbeits- und Straflager deportiert. Nach Minsk, Kiew
und ins Donezbecken, wo er nach einem Arbeitsunfall zeitweise erblindet.
Immer wieder wird seine Entlassung verschoben. Erst im Oktober 1949
kommt er frei.
Schwarze geht
zurück in seine Heimatstadt Leipzig, wo er zunächst bei
seinen Eltern wohnt. Das Thema Homosexualität ist in der Familie
weiterhin Tabu. Und auch Schwarze möchte mit seiner homosexuellen
Veranlagung am liebsten nichts mehr zu tun haben. Die Jahre der
Gefangenschaft haben ihn endgültig gebrochen. Gleichwohl erkundigt
er sich eines Tages nach seiner alten Liebe Hans aus Bitterfeld.
Daraufhin bekommt er Folgendes zu hören: Er ist jetzt
verheiratet, hat schon zwei Kinder. Als sie dich verhafteten, hatte
er panische Angst. Aber es ist ihm nichts passiert. Er meinte, du
seiest ein Riesenrindviech gewesen, alles zuzugeben.
Auch Schwarze
versucht nun, ein heterosexuelles Leben zu führen. Zwei Mal
heiratet er Frauen. Doch beide Ehen gehen in die Brüche: Ich
habe immer wieder versucht, so zu leben wie die anderen Menschen.
Ich habe immer wieder gedacht: Lieber Gott, lass mich doch
nicht so werden. Ich habe gekämpft wie ein Löwe.
Ich wollte es nicht mehr sein. Und wenn ich es noch einmal wäre,
im ersten Bad würde ich mich ersaufen.
Schwarze ist
durch den NS-Terror gebrochen worden. Halt gibt ihm später
die Freundschaft zu Ali, den er 1978 kennenlernt und überall
als seinen Sohn vorstellt. Doch zeitlebens kann er kein wirklich
positives Verhältnis zu seiner Homosexualität aufbauen.
Auch nach der Wende von 1989/90 nicht, als er sich und seine Geschichte
schließlich offenbart. Auf
eine Anzeige in der Leipziger Volkszeitung meldete er sich
damals bei der Journalistin Maxi Wartelsteiner. Sie hatte nach Homosexuellen
gesucht, die in der NS-Zeit verfolgt wurden. Wartelsteiner schreibt
ein Buch über Schwarze, das seine Homosexualität in den
Mittelpunkt rückt. Darüber ärgert er sich immer wieder.
Dennoch kann er von dem Buch nicht lassen, ganze Textpassagen kennt
er auswendig.
Schwarze ist
es ungeheuer wichtig, dass der eigentliche Grund seiner Verhaftung
ein politischer und eben nicht die Homosexualität gewesen sei.
Als der Historiker Joachim Müller im Leipziger Staatsarchiv
schließlich ein Dokument findet, auf dem als Haftgrund politisch
vermerkt ist, reagiert er überschwänglich: Ja, aber
Herr Müller, da haben wir es doch: Politisch. Darum ging es
doch. Warum kann man denn das nicht als Hauptfaktum nehmen und nicht
immer den § 175 aufblasen... Für mich ist das das Wichtigste.
Damit habe ich eine gute Sterbestunde.
Schließlich
geht auch Schwarzes Herzenswunsch in Erfüllung, Rosa von Praunheim
kennenzulernen. Ihn bewundert er sehr, auch wenn er seine Biografie
für schrecklich schweinisch hält. Praunheim
porträtiert Schwarze später in seinem Film Tote
Schwule, lebende Lesben.
Walter Schwarze
stirbt am 10.5.1998 im Alter von 83 Jahren in Leipzig.
Literaturtipps:
Maxi Wartelsteiner:
Rückkehr unerwünscht. Schwul-Sein und das ewig gesunde
Volksempfinden. Schkeuditz 1995: GNN.
Joachim Müller:
Narben bleiben immer. Das Leben des Walter Schwarze.
S. 359-372 in: Müller / Sternweiler: Homosexuelle Männer
im KZ Sachsenhausen. Berlin 2000: Rosa Winkel.
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
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