Wie bei kaum
einem anderen Thema lassen sich anhand der Geschichte der Homosexualitäten
die Ambivalenzen von Individualisierungsprozessen und kollektiven
Identitäten, Intimität und massenmedialer Öffentlichkeit,
wissen-schaftlichem Fortschritt und antimodernen Reflexen und nicht
zuletzt von Freiheit und Demokratie studieren. Wie in einem Brennglas
bündeln sich hier die Widersprüche, die Horkheimer/Adorno
"Dialektik der Aufklärung" nannten.
Ein erster Forschungsschwerpunkt
könnte, anknüpfend an Holbeins Engagement als Jurist und
Rechtsanwalt, die deutsche Rechts- und Justizgeschichte des 20.
Jahrhunderts sein. Die Rechtssphäre von Verfolgung und Befreiung
der gleichgeschlechtlich Begehrenden spielte im Zeitraum zwischen
1860 und 2000 in vielen Arenen und wurde von vielen Aktivist*innen
betrieben. Ein auf die beteiligten Institutionen und Akteure fokussiertes
Forschungsprogramm könnte die dialektischen Prozesse von Repression
und Emanzipation herausarbeiten, die diese Phase prägten.
Trotz dieses
Potentials führt die Forschung zur Geschichte und Gegenwart
der Homosexualitäten an den deutschen Universitäten bis
heute ein Schattendasein. Die akademische Welt erweist sich als
weitgehend immun gegenüber einem Forschungsgegenstand, der
einigen gleichgültig und anderen auch heute noch mit einem
Stigma behaftet zu sein scheint. Wie schwierig es ist, das Thema
an Universitäten zu implementieren, zeigen gerade die Forschungsprojekte,
die in jüngster Zeit erfolgreich auf den Weg gebracht wurden:
an der Universität Stuttgart und am Hannah-Arendt-Institut
der TU Dresden. In beiden Fällen kam der Anstoß von zivilgesellschaftlichen
Initiativen, die Finanzierung musste über eine direkte Förderung
aus Landesmitteln gewährleistet werden.
Auch in Thüringen
ist der Bedarf erkannt worden: Im "Landesprogramm für
Akzeptanz und Vielfalt" wurde das Ziel festgeschrieben, die
"Auseinandersetzung der Hochschulen mit LSBTIQ*-Themen"
zu intensivieren. Mit der Gründung eines Hans-Holbein-Institutes
an der FSU Jena könnte dieses Ziel erreicht und über Thüringen
hinaus ein Zeichen für eine von Vorurteilen und Partikularinteressen
freie und ergebnisoffene Forschung gesetzt werden.
Das Vermächtnis
Holbeins, davon sind die Initiatoren der Neugründung zutiefst
überzeugt, ist für die Universität Jena keine historische
Last. Es ist vielmehr eine einmalige Zukunfts- und Innovationschance,
mit der sich die Friedrich-Schiller-Universität an die Spitze
der Forschung zu Geschichte und Gegenwart der Homosexualitäten
wird setzen können.
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