Die Neugründung

Ziel der Initiative ist die Neugründung der Holbein-Stiftung als interdisziplinäres Hans-Holbein-Institut für Geschichte und Gegenwart der Homosexualitäten an der Universität Jena. Holbeins Idee war visionär: Er wollte Lehre und Forschung zu Homosexualität an einer Universität institutionell verankern. Hintergrund war das verbreitete Unwissen über das Thema, insbesondere aber seine Tabuisierung in akademischen Kreisen. Selbst in seinem Scheidungsprozess, so schreibt Holbein zu den Motiven seiner Initiative, sei der eigentliche Scheidungsgrund mit keinem Wort erwähnt worden.

Mit der Neugründung der Holbein-Stiftung als Forschungsinstitut soll Holbeins Vermächtnis nun erfüllt und zugleich fortentwickelt werden. Dabei sollen aktuelle Forschungsansätze zu Menschen- und Minderheitenrechten, Justizgeschichte und Kriminologie, Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, Alltags- und Emanzipationsgeschichte, Identitätskonzepten und Stigma-Management, Integrations- und Exklusionsmechanismen, Sexualität und Geschlecht sowie Religionen und Kulturen interdisziplinär gebündelt und zu innovativen Forschungsprogrammen zusammengeführt werden.

Gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität sind anthropologische Konstanten. Die Entstehung homosexueller Identitäten hingegen ist ein Produkt der europäischen Moderne. In ihrer Geschichte kristallisieren sich all die Visionen und Enttäuschungen, die mit dem Projekt der Aufklärung verknüpft waren und sind.

 

 
 

Dialektik der Aufklärung:

Karikatur zu Magnus Hirschfelds
Kampf gegen den § 175

Quelle: Lustige Blätter, 26. November 1907

 

Wie bei kaum einem anderen Thema lassen sich anhand der Geschichte der Homosexualitäten die Ambivalenzen von Individualisierungsprozessen und kollektiven Identitäten, Intimität und massenmedialer Öffentlichkeit, wissen-schaftlichem Fortschritt und antimodernen Reflexen und nicht zuletzt von Freiheit und Demokratie studieren. Wie in einem Brennglas bündeln sich hier die Widersprüche, die Horkheimer/Adorno "Dialektik der Aufklärung" nannten.

Ein erster Forschungsschwerpunkt könnte, anknüpfend an Holbeins Engagement als Jurist und Rechtsanwalt, die deutsche Rechts- und Justizgeschichte des 20. Jahrhunderts sein. Die Rechtssphäre von Verfolgung und Befreiung der gleichgeschlechtlich Begehrenden spielte im Zeitraum zwischen 1860 und 2000 in vielen Arenen und wurde von vielen Aktivist*innen betrieben. Ein auf die beteiligten Institutionen und Akteure fokussiertes Forschungsprogramm könnte die dialektischen Prozesse von Repression und Emanzipation herausarbeiten, die diese Phase prägten.

Trotz dieses Potentials führt die Forschung zur Geschichte und Gegenwart der Homosexualitäten an den deutschen Universitäten bis heute ein Schattendasein. Die akademische Welt erweist sich als weitgehend immun gegenüber einem Forschungsgegenstand, der einigen gleichgültig und anderen auch heute noch mit einem Stigma behaftet zu sein scheint. Wie schwierig es ist, das Thema an Universitäten zu implementieren, zeigen gerade die Forschungsprojekte, die in jüngster Zeit erfolgreich auf den Weg gebracht wurden: an der Universität Stuttgart und am Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden. In beiden Fällen kam der Anstoß von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die Finanzierung musste über eine direkte Förderung aus Landesmitteln gewährleistet werden.

Auch in Thüringen ist der Bedarf erkannt worden: Im "Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt" wurde das Ziel festgeschrieben, die "Auseinandersetzung der Hochschulen mit LSBTIQ*-Themen" zu intensivieren. Mit der Gründung eines Hans-Holbein-Institutes an der FSU Jena könnte dieses Ziel erreicht und über Thüringen hinaus ein Zeichen für eine von Vorurteilen und Partikularinteressen freie und ergebnisoffene Forschung gesetzt werden.

Das Vermächtnis Holbeins, davon sind die Initiatoren der Neugründung zutiefst überzeugt, ist für die Universität Jena keine historische Last. Es ist vielmehr eine einmalige Zukunfts- und Innovationschance, mit der sich die Friedrich-Schiller-Universität an die Spitze der Forschung zu Geschichte und Gegenwart der Homosexualitäten wird setzen können.

 

© Alexander Zinn 2019