Als das deutsche
Kaiserreich 1871 aus der Taufe gehoben wurde, musste auch das Strafrecht
vereinheitlicht werden. Dabei orientierte man sich an der preußischen
Regelung: Nahezu wortgleich kriminalisierte § 175 des neuen
Reichsstrafgesetzbuches die "widernatürliche Unzucht,
welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen
mit Thieren begangen wird". Freilich wäre auch eine Abschaffung
der Strafverfolgung möglich gewesen. In einigen süddeutschen
Ländern wie zum Beispiel in Bayern war Homosexualität
unter dem Einfluss des französischen Code pénal bereits
seit 1810 straffrei.
Gegen die Kriminalisierung
regte sich aber auch Widerstand. 1897 gründete der Arzt Magnus
Hirschfeld das "Wissenschaftlich-humanitäre Komitee"
(WhK), zu dessen ersten Initiativen eine Petition zur Abschaffung
des § 175 gehörte. Hans Holbein stieß schon bald
zum WhK und wurde einer der Obmänner dieser weltweit ersten
Lobbyorganisation für die Rechte Homosexueller. Über drei
Jahrzehnte betrieb das WhK Aufklärungsarbeit. Mit Erfolg: 1929
entschied der Reichstag schließlich, Homosexualität unter
Erwachsenen künftig straffrei zu stellen. Ein Beschluss, der
infolge von Wirtschaftskrise und Notverordnungskabinetten allerdings
nicht mehr umgesetzt wurde.
Die Nationalsozialisten
leiteten dagegen schon 1934 eine massive Verfolgungspolitik ein.
1935 wurde der Paragraf erheblich verschärft. Nun konnten sämtliche
Handlungen zwischen Männern belangt werden, soweit mit ihnen
eine wollüstige Absicht verknüpft war. Das
schloss nicht nur die bislang straffreie wechselseitige Onanie ein.
Theoretisch sollte nun bereits das bloße Anschauen des
geliebten Objekts oder das bloße Berühren
dafür ausreichen, bestraft zu werden. Auch das bisher straffreie
Streicheln, Umarmen, Küssen u. dgl. wurde nun mit
Gefängnis bedroht. Neu geschaffen wurde § 175a, der schwere
Fälle der Unzucht mit Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren
bedrohte.
Die Zahl der
Verurteilungen schnellte in die Höhe, von 1933 bis 1937 verzwölffachte
sie sich von 674 auf 8.271. Nach Verbüßung ihrer Strafen
wurde ein Teil der Verurteilten in Konzentrationslager verschleppt,
insgesamt wohl etwa 5.000 bis 10.000 Männer. Die Mehrheit kam
ums Leben, die Todesrate der "Rosa-Winkel-Häftlinge"
lag bei ca. 60 Prozent.
Nach 1945 wurde
die NS-Fassung des § 175 nicht außer Kraft gesetzt. In
der Bundesrepublik blieb sie noch fast 25 Jahre unverändert
bestehen. In dieser Zeit wurden weitere 50.000 Urteile gefällt,
mehr als in den Jahren der NS-Diktatur. Ein Ende fand die Kriminalisierung
homosexueller Handlungen unter erwachsenen Männern erst mit
der am 25. Juni 1969 verabschiedeten Reform des § 175. Dieser
blieb noch bis 1994 als gesonderter Jugendschutzparagraf bestehen.
Auch in der
DDR wurden homosexuelle Männer weiterhin verfolgt. Hier wurde
seit 1950 die mildere Fassung von 1871 angewendet. Doch der Verfolgungsdruck
nahm im Laufe der 50er Jahre wieder zu, wenn auch auf geringerem
Niveau als in der Bundesrepublik. Erst 1968 strich die DDR den §
175 aus ihrem Strafgesetzbuch, doch auch hier galt bis 1988 ein
höheres Schutzalter für homosexuelle Handlungen.
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