Die Bedeutung
der Homosexualität für die Verhaftung von Margarete Rosenberg
Spielt die Homosexualität
also keine Rolle für die Inhaftierung von Rosenberg? Die Historikerin
Claudia Schoppmann bestreitet das. In einem 2002 publizierten Beitrag
behauptet sie, dass als Haftgrund in der Zugangsliste des
Lagers lesbisch genannt worden sei. Das allerdings
entspricht nicht den Tatsachen. Als Häftlingskategorie wird
in der Zugangsliste vom 30.11.1940 vielmehr politisch
angegeben. Richtig ist aber, dass die Lagerverwaltung in einer weiteren
Spalte vermerkt, Rosenberg sei lesbisch obwohl
daran erhebliche Zweifel bestehen mussten.
Welche Bedeutung
könnte diese Bemerkung haben? Es spricht viel dafür, dass
sie dazu dient, das Aufsichtspersonal vor Rosenberg zu warnen, was
auf den geringen sozialen Status lesbischer Frauen in den nationalsozialistischen
Konzentrationslagern verweist. Tatsächlich stehen lesbische
Frauen unter dem Generalverdacht, die Seuche der lesbischen
Liebe in den Lagern weiterzuverbreiten, wie der Auschwitz-Kommandant
Rudolf Höß in seinen Aufzeichnungen schrieb. Als eine
besondere Gefahr betrachtet man den Verkehr dieser Art zwischen
Aufseherinnen und weiblichen Häftlingen, den man unbedingt
unterbinden will.
In jüngsten
Veröffentlichungen schreibt Schoppmann nun, der Fall sei vom
Homosexuellendezernat der Gestapo bearbeitet worden.
Sie nennt
die Gestapo-Dienststelle IV B 1 c, hinter diesem Kürzel
habe sich das Sachgebiet Homosexualität,
das zum Referat für Parteiangelegenheiten, oppositionelle
Jugendliche und Sonderfälle gehörte, verborgen.
Eine Behauptung, die sich anhand der Geschäftsverteilungspläne
der Gestapo allerdings nicht bestätigen lässt. Bis Kriegsbeginn
ist zunächst das Referat II S 1 für die Bekämpfung
der Homosexualität verantwortlich. Am 31.8.1939 wird
die Zuständigkeit für dieses Aufgabengebiet dann auf das
Reichskriminalpolizeiamt verlagert, wo ab Oktober dann auch die
Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität
und Abtreibung angesiedelt ist. Dagegen soll sich die Gestapo
nach einer Anordnung Heydrichs künftig auf die Bekämpfung
des Hoch- und Landesverrates und der Sabotage konzentrieren. Die
Aktivitäten des Homosexuellen-Referats II S 1 sollen vollständig
eingestellt werden. Dringende Fälle können an die Kriminalpolizei
abgegeben werden.
Richtig ist
zwar, dass die Gestapo in bestimmten Fällen auch 1940 noch
gegen homosexuelle Männer ermittelt. Das gilt vor allem für
die im Berliner Polizeipräsidium residierende Stapoleitstelle
Berlin, wo sich das Referat C 4a noch bis September 1940 mit Homosexualitätsdelikten
befasst. Richtig ist auch, dass das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa)
in Einzelfällen weiterhin gegen Homosexuelle ermittelt, insbesondere
dann, wenn es sich um parteiinterne Homosexuellenfälle
handelt. Tätig wird dann das Referat IV B 1, das laut Geschäftsverteilungsplan
vom 1.2.1940 tatsächlich für Parteiangelegenheiten,
oppositionelle Jugendliche und Sonderfälle zuständig
ist. Ein Sachgebiet Homosexualität findet sich
in diesem Geschäftsverteilungsplan aber nicht mehr. Dieses
Referat
einfach als Homosexuellendezernat der Gestapo zu bezeichnen,
ist deswegen ziemlich kühn.
Im vorliegenden
Fall ermittelt die Dienststelle IV B 1 c auch gar nicht in Sachen
Homosexualität. In dem Ermittlungsverfahren geht es auch nicht
um Margarete Rosenberg, der laut einem Vermerk vom 26.9.1940 strafrechtlich
nichts nachzuweisen ist. Das Verfahren richtet sich vielmehr
gegen Rosenbergs Ehemann Artur, den Margarete der Zuhälterei
beschuldigt. Die Gestapo ermittelt in dieser Sache akribisch, in
allen überlieferten Vernehmungsprotokollen der Dienststelle
IV B 1 c geht es allein um diesen Vorwurf. Artur Rosenberg wird
schließlich am 21.3.1941 wegen Zuhälterei nach §
181 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Später stellt
sich heraus, dass die von Margarete Rosenberg gegen ihren Mann erhobenen
Anschuldigungen zum Teil unwahr sind, weshalb sie am 25.11.1941
wegen Meineides zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wird.
In den zu Margarete
Rosenberg bekannten Quellen taucht hingegen mehrfach das Referat
IV C 2 auf, das ihre Angelegenheit bearbeitet und die Schutzhaft-Karteikarte
anlegt. Dieses Referat ist nach den Geschäftsverteilungs-plänen
des Reichssicherheitshauptamtes seit September 1939 für Schutzhaftangelegenheiten
zuständig. Angeordnet wird die Schutzhaft von der Stapoleitstelle
Berlin. Welches Referat sich dort um Rosenbergs Fall kümmert,
ist nicht bekannt.
Es gibt also
keinen Beleg dafür, dass die homosexuellen Handlungen von Rosenberg
der Grund für ihre Deportation ins KZ Ravensbrück sind.
Vielmehr geht es um die Verletzung der Dienstpflicht durch ihr häufiges
Fernbleiben vom Dienst, wofür die Gestapo ihren unsoliden
Lebenwandel als langjährige Prostituierte verantwortlich
macht. Man kann zwar vermuten, dass auch die homosexuellen Handlungen
und die Alkoholexzesse nicht ganz ohne Belang sind für die
Beurteilung ihrer Persönlichkeit durch die Gestapo. Das bleibt
jedoch Spekulation. Für die von Schoppmann seit 2002 in den
verschiedensten Variationen vertretene These, Rosenberg sei ebenso
wie auch ihre Kollegin Elli Smula wegen
ihres Lesbischseins von Staats wegen verfolgt worden und nur
offiziell habe die Gestapo andere Delikte vorgeschoben,
findet sich in den überlieferten Quellen jedenfalls kein Beleg.
Eine Verfolgung
aufgrund ihrer homosexuellen Handlungen erscheint aber schon aus
einem anderen Grund wenig plausibel: Sie hätte nämlich
der NS-Politik explizit widersprochen. Denn obwohl die NS-Machthaber
auch die weibliche Homosexualität ablehnen, entscheiden sie
sich bei der Verschärfung des § 175 im Jahr 1935 ganz
bewusst dafür, sexuelle Handlungen unter Frauen straffrei zu
lassen. Ausdrücklich ausgeschlossen wird auch eine Bestrafung
nach dem Analogieparagrafen 2, denn mit § 175 sei klar
zum Ausdruck gebracht, dass die lesbische Liebe nicht in die Strafbarkeit
einbezogen werden soll; die Tribadie kann deshalb auch im Wege der
Rechtsanalogie nicht bestraft werden, so Regierungsrat Schäfer
1935. Und auch
bei den späteren Planungen für ein neues nationalsozialistisches
Strafrecht wird für die lesbische Liebe eine Bestrafung
nicht in Aussicht genommen. Bis heute ist denn auch kein einziger
Fall nachweisbar, in dem eine Frau wegen lesbischer Sexualkontakte
nach dem NS-Paragrafen 175 bestraft oder in ein Konzentrationslager
eingewiesen worden wäre.
Zitierte
Literatur:
Martin Broszat
(Hrsg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen
des Rudolf Höss. München 1963: dtv dokumente.
Insa Eschebach:
Homophobie, Devianz und weibliche Homosexualität im Konzentrationslager
Ravensbrück. S. 65-78 in: Eschebach: Homophobie und Devianz.
Berlin 2012: Metropol.
Burkhard Jellonnek:
Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen
im Dritten Reich. Paderborn 1990: Schöningh.
Andreas Pretzel
/ Gabriele Roßbach: »Wegen der zu erwartenden hohen
Strafe«. Homosexuellenverfolgung in Berlin 19331945.
Herausgegeben vom Kulturring in Berlin e.V. Berlin 2000: Rosa Winkel.
Leopold Schäfer:
Die Einzelheiten der Strafgesetznovelle vom 28.6.1935. Deutsche
Justiz, Nr. 28, 12.7.1935.
Adolf Schönke:
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Kommentar von Dr.
Adolf Schönke. München und Berlin 1944: C. H. Beck.
Claudia Schoppmann:
Zeit der Maskierung. Zur Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus.
S. 71-93 in: Burkhard Jellonnek / Rüdiger Lautmann (Hrsg.):
Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle. Verdrängt
und ungesühnt. Paderborn 2002: Schöningh.
Claudia Schoppmann:
Elsa Conrad Margarete Rosenberg Mary Pünjer
Henny Schermann. Vier Porträts. S. 97-111 in: Insa Eschebach:
Homophobie und Devianz. Berlin 2012: Metropol.
Claudia Schoppmann:
Elli Smula. Online abgerufen am 10.11.2016 unter: http://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/7460
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
Textausschnitte
zur Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus.
Zitierte
Quellen:
Allgemeine Anordnung
zur Verhinderung des Arbeitsvertragsbruches in öffentlichen
Verwaltungen und Betrieben vom 1.7.1939. S. 432-433 in: Deutsche
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 5. Jg., 1939. Online
Bundesarchiv
Berlin, R 58/840. Die Pläne sind auch online einsehbar bei
Wikipedia: https://de.wikipedia.org
Bundesarchiv
Berlin, R/58/9692, Schutzhaft-Karteikarte Margarete Rosenberg.
ITS-Archiv,
Häftlingspersonalkarte Margarete Rosenberg, Dokument 1.1.5.4/7695864.
ITS-Archiv,
Transportliste vom 30.11.1940, Dokument 1.1.35.1/3761422.
Landesarchiv
Berlin, A Rep. 358-02, Nr. 111848 (Strafverfahren gegen Margarete
Rosenberg wg. Meineids).
Landesarchiv
Berlin, A Rep. 358-02, Nr. 111948 (Strafverfahren gegen Artur Rosenberg
wg. Zuhälterei).
Verordnung zur
Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des
Deutschen Volkes. Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, S. 2319. Online
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