Der Vorwurf,
der Rosenberg und wohl auch Smula gemacht wird, ist der der Verletzung
ihrer Dienstpflicht. Die BVG hält Rosenberg vor, dass durch
ihr häufiges Fehlen der Betrieb des Straßenbahnhofs
Treptow stark gefährdet worden sei. Ein
schwerwiegender Vorwurf, insbesondere bei einem kriegswichtigen
Betrieb wie der BVG, die täglich Zehntausende Arbeiter in die
Rüstungsbetriebe transportiert. So bedroht die Verordnung zum
Schutz der Wehrkraft vom 30.11.1939 denjenigen mit Zuchthaus,
der das ordnungsmäßige Arbeiten eines für
die Reichsverteidigung oder die Versorgung der Bevölkerung
wichtigen Betriebs dadurch stört oder gefährdet,
dass er eine dem Betrieb dienende Sache außer Tätigkeit
setzt. Schon bei Arbeitsvertragsbruch droht Gefängnis,
denn nach einer Anordnung vom 1.7.1939 darf man nicht pflichtwidrig
der Arbeit fernbleiben, die Arbeit verweigern oder böswillig
mit der Arbeit zurückhalten.
Vorschriften,
die schließlich auch Elli Smula zum Verhängnis geworden
sein dürften. Am 30.11.1940 wird sie ins Konzentrationslager
Ravensbrück deportiert. Über den Grund der Schutzhaft
gibt es bei Smula keine genaueren Informationen, es dürfte
aber der gleiche gewesen sein wie bei Rosenberg, die am selben Tag
nach Ravensbrück gebracht wird. Auf deren Schutzhaft-Karteikarte,
die der Autor dieses Beitrages 2016 im Bundesarchiv gefunden hat,
notiert die Gestapo am 13.11.1940 als Grund der Schutzhaft
zunächst Arbeitsverweigerung, ersetzt den Eintrag
dann aber durch die Formulierung: Hat die Arbeit vernachlässigt.
Smula
überlebt die KZ-Haft nicht. Ihrer Mutter wird mitgeteilt, dass
sie am 8.7.1943 ganz plötzlich verstorben sei.
Die Bedeutung
der Homosexualität für die Verhaftung von Margarete Rosenberg
und Elli Smula
Spielt die Homosexualität
also keine Rolle für die Inhaftierung von Rosenberg und Smula?
Die Historikerin Claudia Schoppmann bestreitet das. In einem 2002
publizierten Beitrag behauptet sie, dass bei ihnen als Haftgrund
in der Zugangsliste des Lagers lesbisch genannt
worden sei. Das allerdings entspricht nicht den Tatsachen. Als Häftlingskategorie
wird in der Zugangsliste vom 30.11.1940 vielmehr politisch
angegeben. Richtig ist aber, dass die Lagerverwaltung in einer weiteren
Spalte vermerkt, Rosenberg und Smula seien lesbisch
obwohl daran zumindest bei Rosenberg erhebliche Zweifel bestehen
mussten.
Welche Bedeutung
könnte diese Bemerkung gehabt haben? Es spricht viel dafür,
dass sie dazu dient, das Aufsichtspersonal vor Rosenberg und Smula
zu warnen, was auf den geringen sozialen Status lesbischer Frauen
in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern verweist. Tatsächlich
stehen lesbische Frauen unter dem Generalverdacht, die Seuche
der lesbischen Liebe in den Lagern weiterzuverbreiten, wie
der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß in seinen Aufzeichnungen
schrieb. Als eine besondere Gefahr betrachtet man den Verkehr
dieser Art zwischen Aufseherinnen und weiblichen Häftlingen,
den man unbedingt unterbinden will.
In jüngsten
Veröffentlichungen behauptet Schoppmann nun, dass Smulas Fall
vom Homosexuellendezernat der Gestapo bearbeitet worden
sei. Sie nennt die Gestapo-Dienststelle IV B 1 c, hinter
diesem Kürzel habe sich das Sachgebiet Homosexualität,
das zum Referat für Parteiangelegenheiten, oppositionelle
Jugendliche und Sonderfälle gehörte, verborgen.
Eine Behauptung, die sich anhand der Geschäftsverteilungspläne
der Gestapo allerdings nicht bestätigen lässt. Bis Kriegsbeginn
ist zunächst das Referat II S 1 für die Bekämpfung
der Homosexualität verantwortlich. Am 31.8.1939 wird
die Zuständigkeit für dieses Aufgabengebiet dann auf das
Reichskriminalpolizeiamt verlagert. Richtig ist zwar, dass die Gestapo
in bestimmten Fällen auch 1940 noch gegen homosexuelle Männer
ermittelt. Richtig ist auch, dass hier neben einer anderen
Dienststelle auch das Referat IV B 1 tätig wird, das
laut Geschäftsverteilungsplan vom 1.2.1940 tatsächlich
für Parteiangelegenheiten, oppositionelle Jugendliche
und Sonderfälle zuständig ist. Ein Sachgebiet
Homosexualität findet sich in diesem Geschäftsverteilungsplan
aber nicht mehr. Dieses Referat
einfach als Homosexuellendezernat der Gestapo zu bezeichnen,
ist deswegen ziemlich kühn.
Im Fall Rosenberg
lassen sich zwar Ermittlungen der Dienststelle IV B 1 c nachweisen.
Um Homosexualität geht es dabei aber nicht. Die Ermittlungen
richten sich auch nicht gegen Margarete Rosenberg, sondern gegen
ihren Ehemann Artur, den diese der Zuhälterei beschuldigt (vgl.
Biografie Rosenberg). Elli Smula
wird in den dazu überlieferten Akten gar nicht erwähnt.
Es gibt also
keinen Beleg dafür, dass die homosexuellen Handlungen von Rosenberg
(und vermutlich auch Smula) der Grund für ihre Deportation
ins KZ Ravensbrück sind. Vielmehr geht es um die Verletzung
der Dienstpflicht durch ihr häufiges Fernbleiben. Man kann
zwar vermuten, dass die homosexuellen Handlungen ebenso wie die
Alkoholexzesse nicht ganz ohne Belang sind für die Beurteilung
ihrer Persönlichkeiten durch die Gestapo so wie bei
Margarete Rosenberg eine Rolle spielt, dass sie vor ihrer Dienstverpflichtung
als Prostituierte tätig war. Letztlich bleibt das aber Spekulation.
Für die von Schoppmann seit 2002 in den verschiedensten Variationen
vertretene These, die beiden Frauen seien wegen ihres Lesbischseins
von Staats wegen verfolgt worden und nur offiziell
habe die Gestapo andere Delikte vorgeschoben, findet
sich in den überlieferten Quellen jedenfalls kein Beleg.
Eine Verfolgung
aufgrund ihrer homosexuellen Handlungen erscheint aber schon aus
einem anderen Grund wenig plausibel: Sie hätte nämlich
der NS-Politik explizit widersprochen. Denn obwohl die NS-Machthaber
auch die weibliche Homosexualität ablehnen, entscheiden sie
sich bei der Verschärfung des § 175 im Jahr 1935 ganz
bewusst dafür, sexuelle Handlungen unter Frauen straffrei zu
lassen. Ausdrücklich ausgeschlossen wird auch eine Bestrafung
nach dem Analogieparagrafen 2, denn mit § 175 sei klar
zum Ausdruck gebracht, dass die lesbische Liebe nicht in die Strafbarkeit
einbezogen werden soll; die Tribadie kann deshalb auch im Wege der
Rechtsanalogie nicht bestraft werden, so Regierungsrat Schäfer
1935. Und auch
bei den späteren Planungen für ein neues nationalsozialistisches
Strafrecht wird für die lesbische Liebe eine Bestrafung
nicht in Aussicht genommen. Bis heute ist denn auch kein einziger
Fall nachweisbar, in dem eine Frau wegen lesbischer Sexualkontakte
nach dem NS-Paragrafen 175 bestraft oder in ein Konzentrationslager
eingewiesen worden wäre.
Zitierte
Literatur:
Martin Broszat
(Hrsg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen
des Rudolf Höss. München 1963: dtv dokumente.
Insa Eschebach:
Homophobie, Devianz und weibliche Homosexualität im Konzentrationslager
Ravensbrück. S. 65-78 in: Eschebach: Homophobie und Devianz.
Berlin 2012: Metropol.
Burkhard Jellonnek:
Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen
im Dritten Reich. Paderborn 1990: Schöningh.
Andreas Pretzel
/ Gabriele Roßbach: »Wegen der zu erwartenden hohen
Strafe«. Homosexuellenverfolgung in Berlin 19331945.
Herausgegeben vom Kulturring in Berlin e.V. Berlin 2000: Rosa Winkel.
Leopold Schäfer:
Die Einzelheiten der Strafgesetznovelle vom 28.6.1935. Deutsche
Justiz, Nr. 28, 12.7.1935.
Adolf Schönke:
Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Kommentar von Dr.
Adolf Schönke. München und Berlin 1944: C. H. Beck.
Claudia Schoppmann:
Zeit der Maskierung. Zur Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus.
S. 71-93 in: Burkhard Jellonnek / Rüdiger Lautmann (Hrsg.):
Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle. Verdrängt
und ungesühnt. Paderborn 2002: Schöningh.
Claudia Schoppmann:
Elsa Conrad Margarete Rosenberg Mary Pünjer
Henny Schermann. Vier Porträts. S. 97-111 in: Insa Eschebach:
Homophobie und Devianz. Berlin 2012: Metropol.
Claudia Schoppmann:
Elli Smula. Online abgerufen am 10.11.2016 unter: http://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/7460
Alexander Zinn:
»Aus dem Volkskörper entfernt«? Homosexuelle
Männer im Nationalsozialismus.
Frankfurt am Main 2018: Campus. Link
zum Buchtipp
Textausschnitte
zur Situation lesbischer Frauen im Nationalsozialismus.
Zitierte
Quellen:
Allgemeine Anordnung
zur Verhinderung des Arbeitsvertragsbruches in öffentlichen
Verwaltungen und Betrieben vom 1.7.1939. S. 432-433 in: Deutsche
Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 5. Jg., 1939. Online
Bundesarchiv
Berlin, R 58/840. Die Pläne sind auch online einsehbar bei
Wikipedia: https://de.wikipedia.org
Bundesarchiv
Berlin, R/58/9692, Schutzhaft-Karteikarte Margarete Rosenberg.
ITS-Archiv,
Transportliste vom 30.11.1940, Dokumente 1.1.35.1/3761421 und 1.1.35.1/3761422.
Landesarchiv
Berlin, A Rep. 358-02, Nr. 111848 (Strafverfahren gegen Margarete
Rosenberg wg. Meineids).
Landesarchiv
Berlin, A Rep. 358-02, Nr. 111948 (Strafverfahren gegen Artur Rosenberg
wg. Zuhälterei).
Landesarchiv
Berlin, C Rep. 118-01, Nr. 816 (Entschädigungsakte Elli Smula).
Verordnung zur
Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des
Deutschen Volkes. Reichsgesetzblatt 1939, Teil I, S. 2319. Online
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