Als
Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, befand
sich die Opposition in einer desolaten Lage. Die beiden großen
Linksparteien SPD und KPD waren seit Jahren heillos zerstritten. Fast
ohnmächtig warteten sie ab. Es kam weder zu dem von den Nazis
befürchteten Aufstand noch zu einem Generalstreik. Die deutsche
Linke ließ sich in die Enge und nach dem Reichstagsbrand nahezu
widerstandslos ins Exil treiben.
Schon bald traf
der NS-Terror auch die Schwulen. Am 23. Februar 1933 wies der preußische
Innenminister Hermann Göring die Polizeibehörden an, alle
Lokale zu schließen, "die den Kreisen, die der widernatürlichen
Unzucht huldigen, als Verkehrslokale dienen". Und schon am
4. März 1933 vermeldete das Berliner Tageblatt die Schließung
von 14 schwul-lesbischen "Nachtlokalen". Am 6. Mai 1933
plünderte die SA Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften.
Das Inventar, u. a. die 12.000 Bände der Bibliothek und eine
Hirschfeld-Büste, wurden wenige Tage später auf dem Berliner
Opernplatz verbrannt. Angesichts dieses Terrors zogen es viele Homosexuelle
vor, Deutschland zu verlassen. Magnus Hirschfeld kehrte von einer
Weltreise gar nicht erst zurück. Andere Protagonisten der Homosexuellenbewegung
waren dagegen schon kurz nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden.
So zum Beispiel der Jurist Kurt Hiller. Nach längerer Gefangenschaft
im Konzentrationslager Oranienburg gelang ihm erst im Herbst 1934
die Flucht ins Ausland.
Im Exil allerdings
wollte man von der nationalsozialistischen Schwulenverfolgung nichts
wissen. Die deutsche Exilpresse nahm sie nicht zur Kenntnis. Im
Gegenteil! Ende Dezember 1934 verkündete die sozialdemokratische
Exilzeitung Deutsche Freiheit: "Alle Organisationen der NSDAP.
von oben bis unten, einschließlich der Jugendorganisationen
sind Brutnester der Homosexualität, wie sie nie vorher in der
deutschen Geschichte sich entwickelt hatte". Das Schwesterblatt
Volksstimme setzte noch eins drauf und behauptete, daß "die
NSDAP. geradezu zur Bewegung der Homosexuellen geworden sei.
Während die Gestapo Razzien auf Homosexuelle durchführte,
kultivierte die deutsche Linke ein Weltbild, demzufolge die Homosexuellen
die eigentlich Schuldigen am "Dritten Reich" waren.
Wie konnte es
zu dieser aus heutiger Sicht absurden Vorstellung kommen? Sexualität
und besonders Homosexualität diente schon immer als Projektionsfläche
für die unterschiedlichsten Vorstellungen. Sexuelle Handlungen
haben keine ihnen innewohnende Bedeutung. Doch in allen Kulturen
wurde und wird ihnen Bedeutung zugeschrieben. Um nichts anderes
handelte es sich bei der Gleichsetzung von Homosexualität und
Nationalsozialismus. Die deutschen Emigranten bastelten sich nach
1933 das Bild von einem Dritten Reich der Homosexuellen. Damit wollten
sie die Nationalsozialisten diskreditieren, deren Terror erklären
und ihr eigenes Versagen bei der Machtübergabe an die Nazis
kaschieren.
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