Mit dem schwulen
Nazi hatte die deutsche Linke ein Propagandainstrument erschaffen,
das sich schnell verselbständigte und seither eine ungeahnte
Eigendynamik entfaltet. Dass man sich dabei nicht weniger homophob
gerierte als die Nazis, dass man aus 'dem' Homosexuellen den Sündenbock,
den Juden der Antifaschisten machte, nahm man billigend
in Kauf. Der Zweck heiligt die Mittel, an diese Devise glaubten
die deutschen Antifaschisten allemal.
In der antifaschistischen
Propaganda der frühen dreißiger Jahren feierte der schwule
Nazi seine ersten großen Erfolge. In zahlreichen Exilromanen
wurde ihm ein Denkmal gesetzt. Das Stereotyp überlebte das
Dritte Reich aber auch in sozialwissenschaftlichen Theorien.
So räsonierte Erich Fromm in seinem Beitrag zu Max Horkheimers
1936 veröffentlichten Studien über Autorität
und Familie: Der durchschnittliche autoritäre Mann
ist in physiologischer Hinsicht heterosexuell, in seelischer aber
ist er homosexuell. Und Fromm ging noch einen Schritt weiter:
Dieses Stück Homosexualität wird relativ häufig
bei einer Reihe von Individuen sich auch zur manifesten Homosexualität
im engeren Sinne verwandeln, wofür ja die extremen Autoritätsstrukturen
der neuesten Zeit genügend Beispiele bieten. Der schwule
Nazi hatte es bis in die sozialpsychologische Theorie der Frankfurter
Schule geschafft. Was für eine Karriere!
Wie so manche
linke Idee erlebte auch der schwule Nazi mit der Studentenrevolte
von 1968 eine Renaissance. Die linke Rückbesinnung auf Theoretiker
wie Wilhelm Reich und Erich Fromm ließ auch dieses Stereotyp
wiederaufleben. Eine wichtige Rolle dabei spielten Klaus Theweleit
und sein 1977 erstmals veröffentlichtes Buch Männerphantasien.
Darin behauptete Theweleit, Männerbünde neigten zur
Ausbildung 'homosexueller Praktiken', die, selber aggressiver Art,
zum Umklappen in jede andere Form der Aggressivität fähig
seien. Homosexualität geriet bei Theweleit zum geheimen Organisationsprinzip
des Nationalsozialismus. In der Homosexuellenverfolgung sah er keinen
Widerspruch zu seiner Therorie. Gerade durch die Verfolgung der
Homosexualität, so Theweleit, hätten die Nationalsozialisten
einen Bereich der Übertretung geschaffen, in
den eingeweiht und aufgenommen zu werden, gleichbedeutend war mit
einer Zugehörigkeit zum Bereich des Geheimen wie der Machtelite.
Die NS-Führung als ein homosexueller Geheimbund? Theweleit
ist hier nicht weit entfernt von Heinrich Himmlers wahnhafter Vorstellung,
die Homosexualität führe dazu, dass ein geschlechtliches
Prinzip im Männerstaat von Mann zu Mann einkehrt. Himmler
freilich war überzeugt, dass damit die Zerstörung
des Staates beginne, weshalb er die Homosexualität von
SS-Angehörigen mit besonderer Härte verfolgen ließ:
Diese
Leute werden selbstverständlich in jedem Fall öffentlich
degradiert und ausgestoßen und werden dem Gericht übergeben.
Nach Abbüßung der vom Gericht festgesetzten Strafe
werden sie auf meine Anordnung in ein Konzentrationslager gebracht
und werden im Konzentrationslager auf der Flucht erschossen.
Dies erklärte
Himmler am 18. Februar 1937 in einer Geheimrede vor SS-Offizieren
in Bad Tölz. Am 15. November 1942 verhängte Adolf Hitler
auch ganz offiziell die Todesstrafe für homosexuelle Angehörige
der SS und Polizei.
Klaus Theweleit
allerdings erkennt gar nicht an, dass die Nationalsozialisten die
Homosexualität ausmerzen wollten. Er unterstellt
vielmehr, dass die nationalsozialistische Homosexuellenverfolgung
einen rein instrumentellen Charakter gehabt und lediglich darauf
gezielt habe, die (latent) homosexuellen NS-Führer einzuschüchtern,
in den Machtapparat einzugliedern und zu willigen Vollstreckern
des NS-Terrors zu machen. Die Parallele zu Blühers Theorie
vom homosexuellem Verdränger, der zum Verfolger
wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Theweleit allerdings beschränkt
seine These nicht auf den Verdränger. Er unterstellt vielmehr,
die Nazis hätten auch die Freiheit, das Verbotene zu
tun, gewährt. Und wer muss als Beleg dafür herhalten?
Richtig: Eine Handvoll schwuler Nazis, allen voran der altbekannte
Ernst Röhm.
Homosexualität
und Faschismus sind bei Theweleit über den Typus des Nicht-zu-Ende-Geborenen
verknüpft. Dieser Typ Mann, so Theweleit brav psychoanalytisch,
habe die Loslösung von seiner Mutter nicht vollzogen, sei latent
oder auch manifest homosexuell und könne unter bestimmten
Bedingungen zum soldatischen Mann werden, der
in seinen Augen gleichbedeutend ist mit dem politischen Faschisten.
Welche Bedingungen das sind, bleibt ebenso unklar wie
der Zusammenhang, den Theweleit zwischen homosexuellem Analverkehr
und weißem Terror konstruiert. Das Grundproblem
an Theweleits Ausführungen, die aus einer Aneinanderreihung
von Assoziationen, Andeutungen und Vermutungen bestehen, ist, dass
sie stets im Ungefähren bleiben, nicht greifbar und deswegen
schwer angreifbar sind. Besonders perfide ist auch, dass Theweleit
den von ihm unterstellten Zusammenhang von NS-Terror und Homosexualität
- wohl aus political correctnes wiederholt dementiert, um
dann aber doch immer wieder darauf zu rekurrieren. Zu allem Überfluss
hat Theweleit seine Theorie zur Homosexualität in späteren
Ausgaben der Männerphantasien auch noch modifiziert
und teilweise zurückgenommen. An der Vorstellung, dass NS-Terror
und Homosexualität in einem diffusen Zusammenhang stehen,
hält er aber bis heute fest.
Inzwischen hat
Theweleit einen willigen Schüler gefunden, der gerade an diesem
Aspekt seiner Theorie großen Gefallen findet. Jonathan Littell,
der Shootingstar am Schriftstellerhimmel, macht keinen Hehl daraus,
dass er ein großer Theweleit-Fan ist. Dessen Männerphantasien
lobt er über den grünen Klee, hält es allerdings
für unmöglich, [...] dieses brillante, vielgestaltige,
ungreifbare Buch zusammenzufassen. Was Littell allerdings
nicht daran hindert, Theweleits Thesen in seinen Büchern neues
Leben einzuhauchen. In dem vielgerühmten Roman Die
Wohlgesinnten lässt er den schwulen Nazi in der Hauptfigur
des Maximillian Aue wiederauferstehen. Zur Vorbereitung des Romans
hatte Littell eine Studie über den belgischen SS-Offizier Léon
Degrelle verfasst. Und tatsächlich weist die Romanfigur Aue
viele Charakterzüge Degrelles auf. Mit einem großen Unterchied:
Degrelle war nicht homosexuell. Littells Romanfigur ist es sehr
wohl. In seiner Theweleit-Begeisterung ist Littell offenbar die
Phantasie durchgegangen. Als Literat ist er der historischen Wahrheit
ja auch nicht verpflichtet er kann sein Personal frei gestalten.
Und so erfindet Littell mit seiner Hauptfigur Max Aue einen hochintelligenten
und homosexuellen SS-Mann, der auf 1400 Seiten über seine Verwicklung
in den nationalsozialistischen Massenmord berichtet.
In Littells
Studie über Dregrelle gibt es einen Exkurs über Homosexualität
und Faschismus, in dem Aues Homosexualität erfunden zu werden
scheint. Littell wirft darin die Frage nach seiner [Degrelles]
Homosexualität auf. Wie Theweleit dementiert Littell
zunächst einen Zusammenhang zwischen Faschismus und Homosexualität,
um dann doch darüber zu spekulieren. Dabei zitiert er Theweleit,
demzufolge der homosexuell Werdende [...] zu seiner
Sexualität flüchten sollte, während der soldatische
Mann [der Faschist, der Nicht-zu-Ende-Geborene] ihr
entkommt und sein Heil im weißen Terror sucht.
Bezogen auf Dregrelle schlussfolgert Littell: Wenn dem so
wäre, müsste man bedauern, dass sich Dregrelle dieser
Form der Lust nie hingegeben hat. Vielleicht hat ihm genau das gefehlt,
um ein Mensch zu werden ein Schwanz im Arsch. Etwas
unklar bleibt, wann ein Schwanz im Arsch in Littells
Augen zum Menschen macht, und wann, wie im Fall Aue, zum SS-Mann
und ob beides auch zusammengeht. Die Konfusion hat nicht
nur bei Theweleit Methode.
Klaus Theweleit
freut sich über die unverhoffte Würdigung,
die seine Thesen bei Littell finden. Dessen Degrelle-Studie feiert
er in dem dafür verfassten Nachwort als Bestätigung
meiner Vermutung
, dass es eine universelle Struktur des
Körpers des soldatischen Mannes also des
politischen Faschisten gibt; als ein Normalfall der Gewaltausübung
anzutreffen zumindest in der eurasisch-amerikanischen, in der japanischen,
in der islamischen Mann-Kultur. Zu all dem kann man nur den
süffisanten Kommentar von Harald Welzer in der FAZ vom 29.
Januar 2009 zitieren: Ach, dass universell und
zumindest für einen Sachverhalt zugleich gelten
könnten, hatte man bislang ebenso wenig sich zu denken getraut
wie die Annahme einer Identität des soldatischen Mannes mit
dem politischen Faschisten, aber womöglich versteht man auch
nur die vielen Anführungszeichen nicht in ihrer analytischen
Tiefenschärfe.
Dank Theweleit
und Littell ist der schwule Nazi so aktuell wie seit den dreißiger
Jahren nicht mehr. Und mit dem Marsch durch die Institutionen
hat er inzwischen auch sein linkes Herkunftsmilieu verlassen. Das
führt dazu, dass ein etablierter Historiker wie Lothar Machtan
in einem dicken Wälzer über Hitlers Geheimnis
sinniert, das er in dessen homosexueller Veranlagung entdeckt haben
will. Beweise bleibt Machtan in seinem 2001 veröffentlichten
Werk schuldig. Auf seriöse Quellen kann er sich nicht berufen,
vielmehr liefert er eine suggestive Aneinanderreihung fragwürdiger
Geschichten vom Hörensagen. Und selbst dabei ist seine Darstellung
äußerst unseriös. Ein Beispiel: Machtan zitiert
den Schriftsteller Peter Martin Lampel, dass über Hitlers
Homosexualität schon Anfang der zwanziger Jahre manches
uns alten Freikorpsleuten schon von München her nicht fremd
[war], zum Beispiel, so Machtan wörtlich, die Liäson
mit dem jungen Edmund Heines. Macht man sich die Mühe,
das Lampel-Zitat zu überprüfen und seinen Nachlass in
der Hamburger Staatsbibliothek einzusehen, so zeigt sich, dass Lampel
keineswegs von einer Liäson zwischen Hitler und
Heines spricht. Lampel schreibt lediglich, dass er gehört habe,
die beiden hätten in München eine Studentenbude geteilt:
Manches
darüber war uns alten Freikorpsleuten schon von München
her nicht fremd. Ich kannte eine alte Dame, zu der Hitler damals
lief und sich immer neu Horoskope stellen ließ. Sie, die
durchaus vertrauenwürdig erschien, behauptete genau zu wissen,
dass Hitler in seiner ersten Münchner Zeit, als es ihm noch
recht dreckig ging, die kleine Studentenbude mit Edmund Heines
geteilt habe, demselben Paladin, den er nachher am 30. Juni ermorden
ließ, woraufhin sich Goebbels in einer Flut von Empörung
über diesen grundverderbten Heines ergoss.
So wissenschaftlich
geht es bei Professor Machtan auf 460 Seiten zu. Man kann nur sagen,
dass er sein Handwerk in der Kolportage-Schule der linken Propaganda
der dreißiger Jahre gut gelernt hat.
Bleibt die Frage,
was das Klischee vom schwulen Nazi auch heute noch so reizvoll erscheinen
lässt. Versuchen wir es doch mal etwas humorvoll und schlagen
die psychoanalytisch geschulten Theoretiker eines Zusammengangs
von Homosexualität und Faschismus mit ihren eigenen Waffen.
Vielleicht hat der besondere Reiz dieses Stereotyps ja mit einer
Abspaltung eigener homosexueller Anteile zu tun, die
auf einen äußeren Feind, in diesem Fall den homosexuellen
Nazi, projiziert werden müssen. Eine solche Erklärung,
die Blühers homosexuellem Verdränger entspräche,
müsste den Theweleits dieser Welt doch einleuchten.
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