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NS-Verfolgung Homosexueller
 
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Der Beginn der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung

Im Dezember 1934 war es soweit. Nach eingehenden Vorbereitungen schlug die Geheime Staatspolizei zu. Hunderte Homosexuelle wurden verhaftet: in ihren Wohnungen, bei Razzien in Lokalen und Stundenhotels, oder bei privaten Feiern. Schon im Sommer 1934 hatte Himmler das Gestapo-Sonderdezernat II1So gegründet. Aufgabe des Dezernats war die Bekämpfung der Homosexualität. Nach der Ermordung Röhms war die Bahn frei: Himmler wollte seine homophoben Wahnvorstellungen endlich umsetzen. Am 24. Oktober 1934 ordnete das Dezernat die reichsweite Erfassung "sämtlicher Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt haben", an. Entsprechende Listen waren bis Anfang Dezember beim Berliner Gestapo-Hauptquartier einzureichen. Und bereits in den ersten Dezembertagen setzte eine Verhaftungswelle ein, die in der Geschichte der deutschen Schwulenverfolgung ohne Beispiel war. Zu den Verhafteten gehörten Arbeiter und Angestellte, Regierungsbeamte und NS-Funktionäre, kurz das gesamte soziale Spektrum, das die Schwulenszene zu bieten hat. Zur ersten großen Razzia kam es am zweiten Dezemberwochenende. Drei Wochen später berichtete ein "bekannter Wissenschaftler" unter dem Pseudonym Expertus:

"Seit einigen Wochen erhalte ich mündliche und schriftliche Berichte, aus denen hervorgeht, daß unter den homosexuell veranlagten Personen Deutschlands eine schwere Panik ausgebrochen ist. . . . Diese Angstzustände der Homosexuellen begannen bereits an dem blutigen 30. Juni 1934, als mehrere unter ihnen, die sich in prominenten Stellungen befanden, jählings unter ausdrücklicher Betonung ihrer Veranlagung erschossen wurden, doch das wahre Entsetzen hat sie erst seit der Nacht vom 8. bis 9. Dezember gepackt, als viele Hunderte von ihnen in den Wirtschaften, in denen sie sich treffen, von der geheimen Staatspolizei überrascht, gefangen genommen und direkt in Konzentrationslager verbracht wurden, wo man sie mit wüsten Beschimpfungen und Mißhandlungen empfing."

Nach einem Bericht der Schweizer National-Zeitung vom 13.12.1934 wurden alle in den Lokalen angetroffenen Personen, also "auch durchaus normale Herrschaften" verhaftet. Die Angaben über die Anzahl der Verhafteten schwankten in den Zeitungsberichten beträchtlich. Während die National-Zeitung von "nicht weniger als 2000 Personen" sprach, berichteten die Basler Nachrichten eine Woche später unter Berufung auf eine United Press-Meldung über "ungefähr siebenhundert" Verhaftete.

Ein halbes Jahr später berichtete ein anonymer schwuler Mann in einem Brief an Reichsbischof Müller: "Diese Razzien wurden von der Geh. Staatspolizei arrangiert und von jungen S.S. Männern, - meistens Bayern und andere Süddeutsche - ausgeführt." Die Verhafteten wurden zunächst in das Geheime Staatspolizeiamt in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße gebracht. Dort mußten sie "12 und mehr Stunden in den Gängen" stehen, ohne auch nur ihre "Notdurft verrichten zu dürfen". Es kam zu Beschimpfungen und Mißhandlungen, die der "Leiter der Aktion, ein Obersturmführer Meisinger" durch sein Verhalten unterstützte. Anschließend wurden die Gefangenen "entweder entlassen oder in das sogenannte 'Kolumbia-Haus' (Tempelhof) gebracht", von wo ein "sehr großer Teil" später "in das Konzentrationslager Lichtenburg" verlegt wurde.

Die ersten Razzien fanden offenbar am 1. Dezember statt. An diesem Samstagabend durchsuchte die Gestapo in Berlin mehrere Bars, die man als Treffpunkte Homo­sexueller identifiziert hat. Dabei wurde auch der 19-jährige Textilmodenschüler Erwin Keferstein verhaftet. Um 22 Uhr wurde er in der Prinz-Albrecht-Straße eingeliefert und vernommen. Keferstein gab die Namen zahlreicher Bekannter preis, darunter ist auch den der Gräfin Inga Ellen zu Bentheim. Diese wurde am 4. Dezember zum Gestapa bestellt und als Zeugin befragt. Gräfin Bentheim, nach eigenen Angaben seit Oktober 1933 zahlendes Mitglied der SS, gab bereitwillig Auskunft und nannte die Namen einer ganzen Reihe von Bekannten, die „homosexuell veranlagt“ seien.

In den folgenden Wochen wurden allein in diesem Verfahren über 70 homosexuelle Männer verhaftet und größtenteils in die Konzentrationslager Kolumbiahaus und Lichtenburg verschleppt. Darunter war auch der Künstler Richard Grune. Nach Aussage Bentheims hatte er in seiner Atelierwohnung im Oktober und November 1934 zwei Feste veranstaltet, bei denen es zu sexuellen Handlungen kam. Grune wird noch am 4. Dezember verhaftet.

Grune gab freimütig zu, „homosexuell veranlagt“ zu sein. Bei der peinlichen Befragung nach seinem Sexualleben räumte er gegenseitige Mastur­bation mit verschiedenen Männern ein, was nach § 175 jedoch nicht strafbar ist. Ob Grune bei dem Verhör misshandelt wurde, wissen wir nicht, verdächtig ist aber, dass die Vernehmung am 5.12. „aus besonderen Gründen abgebrochen“ wurde, wie es im Protokoll heißt (LAB, 1934). Bei der zweiten Vernehmung am 12. Dezember gab Grune dann schließlich eine „beischlaf­ähnliche“ Handlung zu. Nur diese konnte nach § 175 verfolgt werden. Wie die meisten anderen Opfer dieser Verhaftungs­welle wurde Grune schließlich ins KZ Lichtenburg verschleppt und dort fast ein halbes Jahr ohne jedes gerichtliche Verfahren in „Schutzhaft“ gehalten. Erst am 31. Mai 1935 kam er vorläufig frei.

Die Zustände im KZ Lichtenburg waren unerträglich, wie der Schauspieler Kurt von Ruffin später schilderte:

"Unten im Hof mußte man dann erleben, daß Transvestiten, die gebracht wurden, die zwangsweise als Frauen reisen mußten, dann vor allen ausgekleidet und geprügelt wurden, gestoßen und geschunden bis sie nackt waren. Die Bonzen, die SS-Schergen haben sich an der Verzweiflung dieser Menschen geweidet. Einer von ihnen - ich weiß nicht, wie er hieß - wurde zur Strafe in die Latrine, die unten war, wurde mit dem Kopf in die Kloake [gestoßen] und erstickte da."

Kurt von Ruffin war ebenfalls durch die Denunziationen der Gräfin Bentheim ins Visier der Gestapo geraten. Die Gräfin habe „jeden besseren Abend 30, 40 Jungens eingeladen, die es dann bei ihr treiben mussten. Und die hat alle angezeigt“, so von Ruffin später. Einer davon war Klaus Kramer-Kirdorf, der dann wohl auch Kurt von Ruffins Namen nannte: „Ich wurde denunziert von einem Freund, den sie so geschlagen hatten, dass er verschiedene Leute angab. Deshalb kamen die beiden Kommissare zu mir und sagten, sie müssten mich für eine Vernehmung mitnehmen, es wäre nur für kurze Stunden. Es waren dann Dreivierteljahre“.

Die Verhaftungswelle vom Dezember 1934 wurde im Ausland schnell bekannt. Während die gleichgeschalteten deutschen Zeitungen schwiegen, berichteten die Korrespondenten der ausländischen Nachrichtenagenturen und Zeitungen wiederholt über die Ereignisse. Wie aber reagierte die deutsche Exilpresse?


© Alexander Zinn 2017