In Deutschland
wurde Homosexualität seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend
mit antiken Männlichkeitsidealen, Führer- und Soldatentum,
Männerbünden, ja mit der patriarchalischen Gesellschaftsordnung
schlechthin in Verbindung gebracht. Die Schriften des ehemaligen
Wandervogel-Führers Hans Blüher, die die gesamte Wandervogelbewegung
"als erotisches Phänomen" beschrieben, machten solche
Ideen populär. Der mit Blühers Thesen geweckte Verdacht,
Homosexualität spiele in der deutschen Jugendbewegung eine
prägende Rolle, führte zu intensivster Selbstprüfung
auf homoerotische oder homosexuelle Bindungen innerhalb der eigentlich
von einem asexuellen Reinheitsideal geprägten Jugendbünde.
Die Vorstellung, die Jugendbünde und - wie Blüher später
behauptete - Männerbünde im allgemeinen seien von unterbewusster,
mitunter sogar von manifester Homosexualität geprägt,
verankerte sich im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit.
Anfang der dreißiger Jahre sollte sie mit der Enttarnung der
Homosexualität des SA-Stabschefs Ernst Röhm neue Nahrung
finden.
Im April 1931
veröffentlichte die sozialdemokratische Münchner Post
eine Artikelserie, mit der bewiesen werden sollte, daß Röhm
homosexuell war. Worum ging es der Zeitung? Ihre Argumente waren
widersprüchlich. Einerseits prangerte sie die Heuchelei
der Nazis an, die trotz ihrer schwulenfeindlichen Haßtiraden
einen homosexuellen SA-Chef duldeten. Zum anderen aber bediente
sich die Zeitung selbst schwulenfeindlicher Klischees. Da war vom
Jugendverführer Röhm die Rede, und die SA
sollte plötzlich nur noch aus Jugendlichen bestehen, die es
zu schützen gelte. Das Blatt verstieg sich sogar zu der Behauptung,
es stehe die moralische und körperliche Gesundheit der
deutschen [sic!] Jugend auf dem Spiel.
Es war kein
Zufall, daß die Münchner Post auf das klassische Homosexuellenklischee
vom Jugendverführer zurückgriff. Bei den angeführten
Beweisen für Röhms Homosexualität nämlich handelte
es sich größtenteils um Fälschungen. Mit dem bekannten
und bewährten Klischee jedoch wirkte die ganze Geschichte wesentlich
glaubwürdiger. Die gleiche Funktion hatte das Klischee vom
homosexuellen Cliquenwesen, das wiederholt bemüht wurde. So
war von "Intrigenspiel" und "Futterkrippendrang innerhalb
der Hitlerpartei" die Rede.
Die Behauptungen
der Münchner Post lösten eine linke Pressekampagne gegen
Röhm aus, die bis zur Machtübergabe an die Nationalsozialisten
im Januar 1933 immer wieder aufflackerte. Die erste Verbindung zwischen
Homosexualität und Nationalsozailismus war geschaffen. Verbindendes
Element war zunächst noch Ernst Röhm. Doch andere "Gemeinsamkeiten"
deuteten sich schon an. Der Männerbund SA, geführt
von einem Homosexuellen, das paßte exakt zu Blühers Theorien.
Und die Klischees vom Cliquenwesen und vom Jugendverführer
vervollständigten das Bild.
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